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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Der Gang war nicht beleuchtet, stattdessen hielten die fünf Gestalten Taschenlampen in ihren Händen und ließen sie kreisen. Das Licht blendete Aurora so stark, dass sie nur unscharfe Konturen erkennen konnte, keine Gesichter. Sie seufzte. Es war eine Sache, kraft ihrer Gedanken, einen Nephil auszuschalten – doch wie sollte es ihr bei fünf gleichzeitig gelingen? War es vielleicht doch besser, zurück in das Gefängnis zu fliehen?
    »Na, Mädchen?«, sagte da plötzlich eine Stimme. »Wohin seid ihr unterwegs?«
    Diese Stimme klang ohne Zweifel kalt und höhnisch. Nicht das geringste Mitleid lag darin – was für mich ein eindeutiger Hinweis dafür war, dass diese fünf hier zu den Entführern gehörten. Doch was der Stimme vollständig fehlte, war das metallische Zischeln, das den Schlangensöhnen eigentümlich war. Nein, diese Stimme kam nicht aus dem Mund eines Nephil … sondern eines Menschen.
    Aurora umklammerte das Schwert. Die Taschenlampen wurden gesenkt, und sie konnte zumindest in zwei Gesichter sehen. Die Männer waren großgewachsen und kräftig – und ja, ohne Zweifel, es waren Männer, keine Nephilim. Die gegerbte Haut, die leicht angegrauten Schläfen verrieten es.
    Drohend trat einer auf sie zu und hob die Hand: »Endstation, meine Süßen!«
    Aurora war zu verwirrt, um darauf zu reagieren. Wie konnte es sein, dass ihre Entführer nicht ausschließlich Nephilim waren, sondern auch Menschen? Für gewöhnlich waren Nephilim doch auf strikte Trennung bedacht! Gerade die Schlangensöhne kamen den Menschen meist nur dann nahe, wenn sie sie töteten, wenn sie sich mit Auserwählten paarten oder wenn sie ein paar wenige herausragende Menschen belehrten. So hatte Caspar von Kranichstein damals auch Kurse für Manager angeboten. Doch diese Männer hier waren gewiss keine Manager, die von einem Nephil gelernt hatten, ihrer nackten Gier zu folgen.
    »Wird’s bald?«, knurrte der Mann. »Zurück in den Raum!«
    Mia wollte den Befehl befolgen, machte ein paar Schritte in die Richtung der Türe und zog dann, als Aurora sich nicht rührte, diese mit sich. Doch Aurora widersetzte sich ihrem Griff. Warum diese Männer an ihrer Entführung beteiligt waren, wusste sie nicht – aber fest stand, dass sie nicht so stark wie Nephilim waren … und somit nicht auch nur annähernd so stark wie sie.
    Vermeintlich schüchtern senkte sie ihren Blick, um dann ganz leise zu sagen: »Ich will euch nicht weh tun.«
    Der Mann blieb knapp vor ihr stehen. Zwei weitere standen direkt hinter ihm. Der Gang war nicht nur eng, sondern auch niedrig – ihre Köpfe stießen fast an die Decke.
    »Was sagst du da, Mädchen?«
    Aurora hob den Kopf, blickte dem Mann nunmehr trotzig ins Gesicht. »Ich sagte, ich will euch nicht weh tun. Lasst uns vorbei.«
    Kurz blickte der Mann sie nur ungläubig an, dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Du willst uns nicht weh tun? Ausgerechnet du?«
    Aurora schloss die Augen, um Kräfte zu sammeln – und um eine ganz neue Erfahrung zu machen. Auch wenn sie mit geschlossenen Augen nichts sah, fühlte sie ganz genau, wo die Männer standen, nicht nur die drei unmittelbar vor ihr, sondern auch den vierten und fünften weiter hinten im Gang. Wieder zog Mia sie am Arm, wieder schüttelte sie sie ab. Sie öffnete die Augen und sagte ein drittes Mal. »Ich will euch nicht weh tun. Also lasst uns durch.« Diesmal klang es eisig.
    Das Gelächter verstummte; Zorn verzerrte das Gesicht des Mannes, ließ es erröten. »Du kleine Göre willst mir doch nicht ernsthaft …«
    Mit erhobener Faust stürzte er auf sie zu – und wurde im letzten Moment von einem anderen zurückgehalten. »Pass auf! Sie hat ein Schwert! Das muss sie Anastasios entwendet haben.«
    Der Nephil hatte also Anastasios geheißen. Und die Männer kannten ihn – was bedeutete, dass sie tatsächlich mit ihm zusammengearbeitet hatten.
    »Das ist doch viel zu groß und schwer für sie.« Der Mann, der vor ihr stand, verzerrte verächtlich den Mund. »Sie kann es kaum halten.«
    »Wirklich?«, fragte Aurora. Ihre Stimme war nun leise, kaum mehr als ein Flüstern und klang beängstigend fremd. Sie hatte nicht das Gefühl, dass sie selbst es war, die sprach, sondern eine uralte Frau. Aber ihr Körper war jung – ihre Bewegungen fielen wendig und blitzschnell aus. Sie überlegte nicht, was sie tat, folgte einfach ihren Instinkten; es fühlte sich ganz selbstverständlich an, sie musste nicht einmal Caras Gesicht heraufbeschwören, um ihre

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