Der Fluch der Abendröte. Roman
mit Holz. Das Salzbergwerk bietet manchmal Exkursionen in diesen Bereich der Stollen an. Eine habe ich mal mitgemacht.«
»Und kannst du uns nun herausführen?«, fragte Aurora wieder.
»Das Stollensystem ist insgesamt fast vier Kilometer lang. Wir könnten überall sein. Ich weiß noch, dass sich hier irgendwo die älteste Treppe der Welt befindet. Von dort aus wüsste ich ungefähr, wohin wir weitergehen müssen.«
Aurora blickte sich zweifelnd um. »Hier sieht es nicht nach einer Treppe aus.«
»Aber sieh doch nur …«
Mia trat zurück und leuchtete die Wände ab. Sie waren nicht glatt, sondern wiesen Abbauspuren auf, die wiederum die Form von Herzen hatten. »Das sind die Hallstätter Herzen«, rief Mia aufgeregt, »in dieser Form haben die Menschen einst den Stein aus den Wänden geschlagen! Es ist bis heute nicht geklärt, warum sie ausgerechnet diese Form wählten.«
Kurz schwiegen sie und betrachteten staunend die Herzen. Aurora hatte sich eben noch selbst uralt gefühlt – aber angesichts eines Zeugnisses, das auf eine Zeit vor vielen tausend Jahren verwies, auf Menschen, die auf der Suche nach dem weißen Gold sämtliche Widerstände zu überwinden versucht hatten, kam sie sich plötzlich klein und unbedeutend vor.
»Komm, lass uns weitergehen!«, murmelte sie nach einer Weile.
Sie ließen die Herzen hinter sich, gingen schweigend weiter. Das Schwert schien nicht mehr ganz so schwer in ihrer Hand zu liegen. Bei jedem Schritt glaubte sie, wieder mehr Kraft zu fühlen. Sie sah die Wände des Gangs nicht nur – sie begann sie zu fühlen, genauso wie sie fühlte, dass der Gang so schnell nicht zu Ende sein würde. Noch ehe Mias aufgeregter Aufschrei es bekundete, wusste sie auch, dass der schmale, niedrige Gang in einen großen mündete und schließlich in einen Hohlraum führte.
»Da ist eine alte Winde!«, rief Mia. Sie leuchtete auf ein merkwürdig anmutendes Gebilde, doch Aurora musterte es nicht lange, sah sich vielmehr in dem Raum um, der nach dem engen Gang extrem hoch und breit schien.
»Die Winde muss aus dem Mittelalter stammen«, rief Mia. »Mein Vater hat mir mal erzählt, wie die Menschen damals Salz gewonnen haben. Sie haben zuerst zwei Stollen übereinandergegraben und dann einen Hohlraum dazwischen ausgesprengt, der die beiden Ebenen verband. Nach oben hin haben sie ihn offen gelassen und nach unten durch einen Damm verschlossen. Nun wurde Wasser in den Hohlraum geleitet und das hat das Salz aus den Wänden gelöst. Die Sole hat man dann mit Schöpfgefäßen aus dem Berg gebracht. Später hat man Rohre gebaut und den Damm einfach nach unten geöffnet, so dass die Sole von selbst aus dem Berg lief … direkt in die Sudhäuser.«
Sie sprach sehr schnell und atemlos, und Aurora ahnte, dass sie nicht nur ihr Wissen unter Beweis stellen, sondern sich irgendwie die Furcht von der Seele reden wollte. Mia begriff nicht, was genau um sie herum geschehen war – aber wie der Salzabbau funktionierte, das wusste sie, und das gab ihr offenbar Sicherheit.
»Die Sudhäuser befinden sich doch außerhalb des Bergwerks, oder?«, fragte Aurora.
»Ja!«, rief Mia eifrig. »Und wenn wir nun eines der Rohre finden, das damals die Sole dorthin geleitet hat, dann könnten wir ihm einfach folgen. Die Sudhäuser sind zwar allesamt abgerissen worden, aber vielleicht finden wir ins Freie.«
Nachdenklich blickte sich Aurora um. Ja, wenn sie Glück hatten, würden tatsächlich die Rohre den Weg ins Freie weisen. Doch wenn es keine Sudhäuser mehr gab, dann bedeutete dies, dass die Rohre vielleicht längst verschlossen oder zugeschüttet worden waren.
Würde sie stark genug sein, solche Hindernisse zu überwinden, sie gar einzureißen?
Laut rauschte das Blut in ihren Ohren … Nephilim-Blut.
Sie wusste nicht, ob ihre Kräfte ausreichten, aber sie wusste, dass sie alles versuchen würde, um Mia und sich selbst heil durch die Gefahr zu bringen, die sie deutlich spüren konnte.
Finsternis, überall Finsternis.
Ich hob die Hand, stieß aber auf keinen Widerstand, wälzte mich zur Seite und fühlte den Schmerz in meinem Kopf förmlich explodieren. Wie eine grelle Flamme, die dicht vor meinen Augen in Funken zerstob – aber diese Funken verhießen kein tröstendes Licht, sie waren wie Nadelstiche. Ich schloss die Augen, öffnete sie wieder. Immer noch war es schwarz um mich, aber der Schmerz hatte etwas nachgelassen. Ich setzte mich auf, kam auf meine Beine, tastete nach einer Wand. Zunächst hoffte ich,
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