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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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auf ein Hinderniss zu stoßen, in diesem Nichts irgendetwas zu spüren, was auf eine reale Welt verwies – doch kaum lief ich tatsächlich gegen eine Wand, war sie doch nur eins: ein Zeichen, dass ich gefangen war.
    Ich schrie auf, wieder explodierte ein Schmerz, diesmal in meiner Kehle. Und dann, dann war da endlich Licht. Jemand blendete mir ins Gesicht, hielt mich fest, zog mich an sich.
    Ich schrie weiter, achtete nicht auf den Schmerz, sondern schlug wild um mich. Panik höhlte meine Gedanken aus, die Schwärze schien sämtliche Erinnerungen geschluckt zu haben. Ich wusste nicht mehr, was passiert war, nur, dass es etwas Schreckliches, Grauenhaftes gewesen war und ich ihm hilflos und ohnmächtig ausgeliefert gewesen war. Ich stieß die fremden Hände zurück, umklammerte meine eigenen Schultern, krümmte mich. Ich konnte das Grauen fast körperlich spüren, es legte sich wie ein schwerer Mantel auf mich und nahm mir die Luft zum Atmen.
    »Sophie!«
    Ich ließ die Hände sinken. Die Stimme klang vertraut. Wieder blendete mich ein Lichtschein, und diesmal erkannte ich, dass seine Quelle eine Taschenlampe war und dass Lukas diese Lampe hielt.
    »Sophie, ich bitte dich! Beruhige dich! Ich bin es doch nur!«
    Freudiger Schrecken flutete durch meine Adern, zu schnell, zu stark, um ihm standzuhalten.
    Lukas … er lebte noch … ich war nicht allein …
    Doch als ich ihn eingehender musterte, entfuhr mir wieder ein spitzer Schrei. Nicht nur, dass sich in seinen Augen mein Entsetzen spiegelte. Außerdem war seine Wunde, die ihm die Entführer zugefügt hatten, wieder aufgeplatzt. Am schlimmsten anzusehen war aber nicht das rote Blut, das aus seiner Verletzung trat, sondern diese bläuliche Flüssigkeit, die an seinem Gesicht, an seinen Händen klebte und auch die Bergmannsuniform befleckt hatte.
    Nephilim-Blut.
    Ich riss ihm die Lampe aus der Hand und drehte mich hektisch im Kreis, um den Raum auszuleuchten. Feucht tropfte es von den Wänden, kein farbloses Wasser, wie ich zunächst hoffte, sondern noch mehr Blut, blaues Blut. Ich wagte kaum die Lampe in die Richtung zu lenken, wo vorhin Nathan gefangen gewesen war, zwang mich aber schließlich doch dazu.
    Die Ketten lagen auf dem Boden. Sie waren blutverschmiert, aber sie hielten niemanden mehr gefangen. Ich fuhr herum, beleuchtete nun die Tür – sie war verschlossen.
    Die Lampe entglitt mir, als ich zur Tür stürzte und sie zu öffnen versuchte. Es gelang mir nicht, panisch schlug ich dagegen.
    »Nathan!«, schrie ich. »Wo bist du, Nathan?«
    Lukas Hände umfassten mich von hinten und zogen mich von der Tür fort.
    »Es ist zwecklos«, sagte er – und ich wusste nicht, was er meinte: meinen Versuch, die Tür öffnen zu wollen oder nach Nathan zu rufen.
    Ich verstummte, denn plötzlich wusste ich es doch – wusste, was passiert war. Zwecklos … sinnlos … hoffnungslos … alles vorbei … alles verloren …
    »Nathan …«, stammelte ich.
    Plötzlich schien ich nicht länger auf hartem, kaltem Boden zu stehen, sondern in einem Sumpf zu versinken, immer tiefer, immer haltloser – ein Sumpf aus Trauer und Verzweiflung.
    Ich hatte das Gefühl, als würde sich etwas Klebriges, Dunkles, Giftiges auf meine Lungen legen. Auch wenn ich nicht in diesem Sumpf ertrinken würde, war ich mir dennoch sicher, dass ich nie wieder einen Atemzug machen würde, der nicht weh täte.
    »Nathan …«, stammelte ich. »Nathan …«
    »Sophie, es tut mir so leid.«
    Er sprach es nicht aus, aber das musste er auch nicht. Das Blut … das viele Blut verriet deutlicher als alle Worte, was geschehen war, verriet, was ich verloren hatte, verriet, dass das Leben ab diesem Augenblick nur mehr ein Überleben sein würde, kein Lachen, kein Lieben, kein Necken, Spielen, Küssen, Sehnen, kein Träumen mehr. Auch wenn dieser Raum hell erleuchtet gewesen wäre – ich hätte doch alles nur in Grautönen gesehen, als hätte sich ein dicker, erstickender Schleier über meinen Blick gesenkt, der künftig alle Farben ermatten lassen würde, allen lebhaften Lärm ersticken, alles hoffnungsvolle, intensive Auskosten von Freude mit schalem Geschmack versetzen würde.
    Irgendwann konnte ich es in Worte fassen, konnte es sagen, doch jedes einzelne Wort fiel mir schwer. »Er … hat … es … getan …«
    Lukas war neben mir auf den Boden gesackt, nicht länger nur entsetzt, sondern auch kraftlos. Sein Gesicht war grau.
    »Es tut mir so leid, Sophie«, wiederholte er tonlos.
    Er hob

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