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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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durchdringt, ihn nicht einfach nur zittern lässt, sondern sich wie ein schmutziges, graues Tuch auf ihn legt.
    Ich spürte nun weder meine Handflächen noch die schmerzenden Kniescheiben. Irgendwann wurde der Gang breiter und höher, und wir konnten uns ein wenig aufrichten. Noch mussten wir uns bücken, aber immerhin konnten wir nun gehen und mussten nicht länger kriechen. Lukas streckte mir seine Hand entgegen, und ich nahm sie, um mich von ihm ziehen zu lassen. Es war noch immer kalt, doch die Luft war frischer und ließ uns befreiter atmen. Und dann fiel das Licht der Taschenlampe plötzlich in einen großen Raum – offenbar eine weitere Kammer.
    »Ich glaube, ich weiß, wo wir sind!«, sagte Lukas erleichtert.
    Er nahm meine Hand, zog mich weiter.
    Wir durchquerten die Kammer – einen Hohlraum – und betraten einen weiteren Gang. Endlos lang erschien er mir, führte zu weiteren Hohlräumen und wieder hinaus. Manchmal konnten wir aufrecht gehen, manchmal nur gebückt. Die kalte und irgendwie tote Luft begann in meiner Brust zu schmerzen. Dennoch folgte ich Lukas unbeirrt, erleichtert, als wir endlich auf Gleise stießen – ein Zeichen, dass die prähistorischen Gänge hinter uns lagen. Doch die Hoffnung, dass uns die Gleise ins Freie führten, schwand rasch. Mehrmals gabelte sich der Weg – mehrmals entschied sich Lukas für eine Richtung, aber an seiner Anspannung merkte ich, dass er sich nie sicher war, ob er uns nicht womöglich in eine Sackgasse führte.
    Rasch, entschlossen und hoffnungsvoll war er bislang vor mir hergegangen – doch als sich der Weg erneut gabelte, blieb er stehen.
    »Warte hier kurz! Ich will erst in beiden Richtungen nachsehen.«
    Die Vorstellung, allein im Dunkeln zu bleiben, machte mir Angst. Doch ich fühlte mich vom langen Herumirren in diesem unterirdischen Labyrinth so erschöpft, dass ich bald nachgab. Ich presste mich mit dem Rücken fest an eine Wand und sah zu, wie Lukas in einem der beiden Gänge verschwand. Die Wand fühlte sich klamm an. Etwas Kaltes fiel in meinen Nacken. Meine Sinne waren so überreizt, dass ich mich nicht entscheiden konnte, ob es ein Steinchen gewesen war oder ein Wassertropfen. Ich rückte von der Wand ab, und in dem Augenblick, als ich mich vorbeugte, sah ich im verblassenden Schein der Lampe etwas Dunkles auf der anderen Seite der Weggabelung liegen. Es regte sich nicht und wirkte doch bedrohlich.
    »Lukas!«, schrie ich.
    Er war fast sofort wieder da, und im Schein der Lampe schien dieses Dunkle noch zu wachsen. Vorsichtig trat ich näher, sah zuerst nur schwarzen Stoff. Dann einen Körper, der sich darunter verbarg … zumindest fast. Eine Hand ragte aus dem dunklen Stoff heraus. Eine über und über mit blauem Blut verschmierte Hand, deren Nägel im Lichtschein gelblich wirkten.
    Ich zuckte zurück.
    Vor mir lag jemand.
    Ohnmächtig … oder tot.
    Es hatte lange gedauert, bis sie den tiefer gelegenen Stollen erreichten. Die Öffnung nach unten war zu schmal, um sich hindurchzuquetschen, und so war Aurora schließlich hingegangen, hatte ihre Hand auf den Stein gelegt und sachte dagegengedrückt – als wollte sie eine angelehnte Türe öffnen. Noch während sie es tat, hatte es sich genau so angefühlt. Als jedoch die Wand einstürzte und einige Steine sie trafen, hatte sie prompt wieder das Gefühl gehabt, all ihre Kraft würde mitsamt der Wand in sich zusammenbrechen. Allein beim Gedanken, das Schwert, das sie kurz abgelegt hatte, wieder zu ergreifen, überkam sie tiefste Erschöpfung.
    Doch nachdem sie sich eine Weile auf nichts als ihren Atem konzentriert hatte, bückte sie sich wieder danach. Vielleicht täuschte sie sich, aber als sie den Griff umfassen wollte, vermeinte sie, er würde ihr bereits entgegenkommen, als wäre sie ein Magnet, der das Eisen anzog. Schwer war die Waffe trotzdem – wenn auch nicht so schwer wie für Menschenhände.
    »Wie machst du das?«, fragte Mia fassungslos. »Dass du plötzlich so stark bist … das ist nicht normal.«
    Aurora wusste nicht, worauf sie sich bezog – auf die Öffnung im Stein, die sie erweitert hatte, oder die Art, wie sie das Schwert ergriffen hatte. In jedem Fall stimmte sie ihr innerlich zu. Nein, es war tatsächlich nicht normal … nicht nur für einen Menschen, sondern selbst für eine Nephila. Nephilim potenzierten die Fähigkeiten von Menschen – doch zu diesen gehörte es nicht, eine Art magnetische Wirkung auf Eisen auszuüben. Vielleicht waren es ihre Gedanken, die das

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