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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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vielleicht würden wir sie wirklich bald befreien können. Die Hoffnung war nur ein kleines Stückchen Land inmitten dieses Ozeans aus Bedrohung und Leid. Aber noch fand ich Platz darauf, noch konnte ich mich an etwas festhalten.
    Ich zuckte zusammen, als plötzlich ein lautes Krachen ertönte. Etwas regnete auf mich herab, und als ich nach meinen Haaren griff, spürte ich, dass sich Holzsplitter und grober Staub dort verfangen hatten. Staub drang auch in meine Lunge. Ich hustete. Lukas hatte sich zwar an den Ketten hochziehen können, war nun aber abgerutscht und auf den Boden gefallen, wo er gekrümmt liegen blieb. Erschrocken beugte ich mich zu ihm, doch er schien von dem Sturz keine weiteren Blessuren davongetragen zu haben, sondern sprang gleich wieder auf und deutete aufgeregt nach oben.
    »Wusst ich’s doch!«
    »Was?«
    Ich konnte zunächst nichts erkennen, nicht einmal, ob die Decke an dieser Stelle aus Stein oder Holz bestand, doch als Lukas nach seiner Taschenlampe griff und ihren Strahl nach oben richtete, sah ich eine winzige Öffnung, die kaum größer als ein Mauseloch war.
    »Der Stollen, in dem wir uns befinden, muss aus dem letzten Jahrhundert stammen«, erklärte Lukas aufgeregt, »das heißt, er ist nicht mit Stahl ausgekleidet. Vielleicht ist er sogar noch älter – und das könnte bedeuten, dass sich parallel zu diesem Raum ein Kriechgang befindet.«
    »Was ist ein Kriechgang?«, fragte ich verständnislos.
    »Kriechgänge sind Stollen aus der prähistorischen Zeit, die die Menschen damals in den Berg geschlagen haben.«
    Ich deutete auf das Loch. »Wir kommen doch nie da durch.«
    Was in mir nur noch größere Hoffnungslosigkeit weckte, schürte in Lukas die Tatkraft. »Wir müssen dieses Loch dort oben irgendwie vergrößern. Und dann können wir uns vielleicht durchzwängen.«
    »Aber wie …«, setzte ich an.
    Noch ehe ich den Satz zu Ende gebracht hatte, zog er etwas aus seinem Gürtel hervor.
    »Am besten wäre es, du würdest dich auf meine Schulter stellen, um die Decke einzuschlagen. Eigentlich bräuchten wir einen Hammer, aber vielleicht geht es auch damit.«
    Er hatte einen Schraubenschlüssel hervorgezogen und reichte ihn mir. Ich bezweifelte, dass ich damit etwas gegen den harten Stein ausrichten konnte, und zögerte, als er mir bedeutete, auf seine Schultern zu klettern. Das hieß, ganz dicht an die Ketten heranzutreten, in denen Nathan gelegen hatte … Nathan, ach, Nathan …
    Ich versteifte mich, wich zurück. Doch nicht nur Lukas’ entschlossenes Nicken gab mir Mut, auch der Gedanke an Aurora.
    Ich hielt den Schraubenschlüssel fest umklammert, während ich mich mit der anderen Hand an Lukas’ Nacken festhielt. Er hatte seinen Oberkörper an die Wand gepresst, und ich stieg zunächst auf seine Knie, dann, nachdem ich halbwegs das Gleichgewicht gefunden hatte, auf seine Schultern. Sehr lange würde er mein Gewicht nicht tragen können. Um mich leichter zu machen, ließ ich seinen Nacken los und hielt mich widerwillig an einer der Ketten fest. Mit ganzer Kraft versuchte ich, mich noch höher zu ziehen – während Lukas sich langsam etwas aufrichtete und mein Kopf fast an die Decke stieß. Ich ließ die Kette los und umklammerte nun mit der freien Hand den Rand des winzigen Lochs, der prompt nachgab. Nur mühsam behielt ich das Gleichgewicht. Wieder regnete es Staub, Stein und Holzsplitter auf mich herab. Ich konnte kaum mehr etwas sehen, doch als Lukas mich aufforderte, mit dem Griff des Schraubenziehers zuzuschlagen, tat ich es.
    Ich hielt die Augen fest zusammengepresst und konnte so nicht sehen, ob mein Bemühen Erfolg hatte. Immerhin fühlte ich, dass die Decke nicht aus dem harten Stein war, wie ich befürchtet hatte, sondern rund um das Loch nachgab. Noch empfand ich aber keine Zuversicht – vielmehr wuchs meine Angst, dass die Decke über uns einstürzen konnte.
    »Ja!«, rief Lukas hingegen begeistert. »Mach weiter so!«
    Nun endlich öffnete ich doch die Augen. Lukas hatte die Taschenlampe auf den Boden gelegt, und in ihrem Schein konnte ich erkennen, dass das Loch mittlerweile groß genug war, um den Kopf durchzuschieben.
    »Hör nicht auf!«
    Meine Hände zitterten ebenso wie seine Beine, und ich fragte mich, wie lange er meinem Gewicht noch standhalten würde.
    »Denk an Aurora!«, forderte er mich auf.
    Das tat ich, als ich weiter zuschlug, und ich dachte nicht nur an sie, sondern auch an Caspar und an Saraqujal, und plötzlich gaben mir nicht nur Angst und

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