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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Schwert bewegt hatten – Gedanken, die über Dinge vielleicht ähnliche Macht haben konnten wie über lebendige Wesen.
    Anstatt auf Mias Worte einzugehen, forderte sie sie auf, durch den Spalt nach unten zu klettern, und folgte ihr dann.
    »Diese alte Sudhütte«, murmelte Mia, als sie den unteren Gang erreicht hatten, »sie befand sich bei Lahn, du weißt, dort, wo es zur Kalvarienbergkirche hochgeht – ganz in der Nähe des Campingplatzes. Dort gibt es eine kleine Tafel neben der Treppe, und auf dieser wird an die Sudhütte erinnert. Aber eben auch daran, dass sie abgerissen wurde. Schon vor vielen Jahren.«
    »Vielleicht gibt es noch weitere Sudhütten …« Aurora war sich sicher – wenn sie sich mit aller Macht darauf konzentriert hätte, hätte sie das vielleicht … fühlen … wissen können. Aber ihr Kopf schien plötzlich ganz leer zu sein – und nach dem Wüten der Macht war das ein beruhigender, angenehmer Zustand, an dem sie nur ungern etwas ändern wollte.
    »Die Sole, die in die Sudhütte geleitet wurde, ist dort so lange erhitzt worden, bis das Wasser verdampft war und Hochsalz übrig blieb. Soweit ich weiß, musste die Sole aber dafür vorher gereinigt werden – und vielleicht gab es auch dafür ein eigenes Gebäude.«
    Mia sprach wieder schnell, geradezu gehetzt. Wieder schien es, als wollte sie so ihre Furcht bezwingen. Die Furcht, nicht ins Freie gelangen zu können. Und die Frucht vor ihr … Aurora. Und vielleicht sprach sie auch so schnell, um nicht fragen zu müssen: Wer bist du? Wer bist du nur?
    In jedem Fall verstummte sie, denn plötzlich hörten sie in der Ferne ein dumpfes Grollen, ähnlich dem eines aufziehenden Gewitters.
    Mia hielt abrupt inne. »Was ist das? Hast du das auch gehört?«
    Es wurde leiser, immer leiser, verklang endgültig – und ertönte plötzlich erneut. Diesmal klang es weniger wie ein Donner, sondern wie das Knurren eines ärgerlichen Hundes. Der Boden bebte, die steinernen Wände schienen zu wackeln. Stein und Sand regneten auf sie herab.
    »Was immer es ist«, murmelte Aurora, »in jedem Fall sollten wir uns beeilen hinauszukommen.«
    Immer noch fühlte sich ihr Kopf zu leer an, um die Ursache des Grollens zu ergründen. Doch als es ein drittes Mal zu hören war, hatte sie plötzlich ein Bild vor Augen, ein Bild von Schwertern … kämpfenden Nephilim … von Blut … Toten: Sie waren enthauptet oder verblutet oder man hatte ihnen das Herz aus der Brust gerissen.
    »Aurora, was hast du!«
    Der Schrecken musste sich deutlich in ihrem Gesicht ausgebreitet haben. Das Bild verblasste. »Nichts … nichts … nur weiter.«
    Bis jetzt hatte sie Mia den Vortritt überlassen, nun übernahm Aurora selbst die Führung und beschleunigte ihren Schritt. Sie konzentrierte sich auf den Weg vor sich, wurde blind für die eigenen Visionen, versuchte, nicht auf das Gewicht des Schwertes zu achten, das ihren Arm nach unten zog. Nur raus … raus …
    Der Weg wurde schmaler und niedriger, führte eine Weile lang nach oben, dann wieder nach unten – nur leider nie ins Freie.
    Einmal blieb Mia kurz stehen. »Und wenn wir in die falsche Richtung laufen?«, fragte sie verzweifelt. »Wenn wir immer tiefer in den Berg hineingehen statt hinaus?«
    »Die Richtung stimmt«, gab Aurora knapp zurück, und nicht der geringste Zweifel war aus ihren Worten herauszuhören. Das Grollen schien etwas leiser zu werden, aber hielt doch an.
    »Und wenn der Stollen zusammenbricht?«, fragte Mia nun ängstlich. »Wenn er nicht ausreichend gesichert ist?«
    Und wieder antwortete Aurora knapp: »Es wird nichts passieren.«
    Die Sicherheit, mit der sie antwortete, schien Mia Kraft zu geben – sie selbst fühlte vor allem bleierne Müdigkeit, und irgendwie war ihr diese Müdigkeit vertraut. Manchmal hatte sie sich in den letzten Jahren so gefühlt, hatte sich vorgestellt, dass etwas in ihr hockte, rumorte, ihre Energie förmlich auffraß. Sie konnte dieses Wesen zwar in Schach halten – aber zu dem Preis, dass sie sich oft auch nach vielen Stunden Schlaf noch immer ausgelaugt gefühlt hatte.
    Trotz der Erschöpfung schaffte sie es, Schritt vor Schritt zu setzen. Während sie selbst den Blick nun starr zu Boden gerichtet hatte, ließ Mia mehrmals die Taschenlampe kreisen, um den Gang auszuleuchten, und rief plötzlich erleichtert: »Schau nur!«
    In der Ferne verwob sich das Licht der Lampe mit einer Ahnung von Grau.
    »Hier geht es raus!«, schrie Mia erleichtert, drängte an Aurora vorbei

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