Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
Vom Netzwerk:
ließ ihn gewähren, trat rasch neben mich und blickte starr auf das Messer, mit dem er vor uns fuchtelte, um uns beide unter Kontrolle zu halten. Zuerst war ihr Blick ausdruckslos, dann wurde er ärgerlich – und ein wenig überdrüssig.
    »Wenn du nicht von deinem Ziel ablässt, wirst du sterben!«, verkündete sie mit dieser alten, uralten Stimme. »Das will ich Mia nicht antun.«
    Wieder lachte Lukas auf. »Du bist verrückt!«, zischte er. »Was kannst du denn schon gegen mich ausrichten?«
    Endlich hatte er gefunden, was er suchte. Ich hatte bis jetzt gedacht, dass er nach Sprengmaterial kramte, in Wahrheit war es der Zünder, den er nun in Händen hielt, was hieß, dass er das Sprengmaterial bereits befestigt hatte und somit nur ein Knopfdruck genügen würde, um das Rohr zum Explodieren zu bringen.
    Seine Augen glänzten irr, als er Aurora fixierte und schadenfroh den Zünder hochhielt.
    »Also, was willst du tun?«
    Aurora blieb stumm, aber ich fühlte, wie sie sich anspannte. Obwohl alles in mir drängte, sie zu schützen, wich ich zurück – zutiefst erschrocken von dem Licht, das plötzlich von ihr ausging. Nein, es waren nicht mehr nur die Augen, die glühten. Ein Leuchten umhüllte ihren ganzen Körper, kein bläuliches, sondern ein rötlichwarmes, das mich an die Morgenröte erinnerte – jene Morgenröte, die zur Stunde ihrer Geburt den Himmel rosig gefärbt hatte, und jene Morgenröte, in deren Licht sie einst Caspar von Kranichstein bezwungen hatte.
    Wieder musste ich an dessen Worte denken. Dass man nicht viel über die Nephilim der ersten Sphäre wisse, dass man nur manches von dem ableiten könne, was einst die Kirchenväter über die Hierarchie der Engel festgehalten hätten. Demnach waren diese Engel der ersten Sphäre nicht nur Träger der Weisheit, sondern Träger des Lichts. In ihnen brannte ein göttliches Feuer, viel stärker und heißer und machtvoller als jede irdische Flamme.
    Immer noch sagte Aurora nichts, hob einfach nur die Hände, und Lukas erstarrte. Ob er auch dieses Licht wahrnahm, wusste ich nicht, aber Auroras blaue Augen schienen wie ein Magnet zu wirken, der seinen Willen förmlich aus ihm herauszog und nichts zurückließ als eine leblose Hülle, die sich ihr nicht widersetzen konnte. Seine Schritte fielen so ungelenk aus wie die einer Marionette, deren Fäden durchgeschnitten worden waren. Ich sah, wie er das Messer heben wollte, aber es nicht mehr konnte; klirrend fiel es zu Boden. Dann sah ich nichts mehr, wurde von einer unsichtbaren Gewalt gegen die Wand gedrückt und musste meinen Blick von Aurora wenden, weil ich das Leuchten nicht mehr ertrug.
    »Nein!«, rief Lukas, gequält nun, als verkrampfe sich sein ganzer Körper voller Schmerzen. »Nein!«
    Mehr zu sagen fehlte ihm die Kraft. Er wich zurück – oder wurde von Aurora zurückgetrieben –, bis er an die gegenüberliegende Wand stieß.
    Dann erst verlor das Glühen um Aurora etwas von seiner Kraft. Ich konnte mich wieder von der Wand lösen, die Augen öffnen.
    »Es war deine Wahl …«, sagte sie leise.
    Da glättete sich plötzlich Lukas’ Gesicht, war keine von Hass und blinder Rachsucht verzerrte Maske mehr, sondern war wieder das Gesicht des Lukas, den ich kannte, des liebevollen, fürsorglichen Vaters, des Freundes, auf den man sich verlassen konnte. Verwirrt sah er aus, so als erwache er aus einem bösen Traum, und zugleich erleichtert, weil das Erste, was er sah, dieses wunderschöne Mädchen war, dessen rötlichbraunes Haar zu fluoreszieren schien. Er sank auf seine Knie, hob seine Hände wie zum Gebet. Das Letzte, was ich zu sehen glaubte, war ein Ausdruck der Hingabe – die gleiche Hingabe, die einst auch Caspar gefühlt und ins Verderben gerissen hatte.
    »Wer bist du?«, hörte ich ihn fragen, dann gingen jegliche Worte in einer ohrenbetäubenden Explosion unter. Auch wenn er den Zeitzünder nicht mehr ausgelöst hatte – die Pumpe war bereits zu schwer beschädigt. Irgendetwas schien förmlich zu platzen, das Wasser stürzte auf ihn nieder wie eine weiße Wand. Ich sah noch, wie seine Knie vom Boden weggerissen wurden – dann hatten mich die kalten Fluten selbst erfasst.

XIII.
    Das kalte Wasser traf mich wie ein Schlag. Anfangs gelang es mir noch, ihm irgendwie auszuweichen, meinen Kopf hoch zu halten und nach Luft zu schnappen, doch der zweiten Welle, die auf mich herabging, konnte ich nicht entkommen. Das Wasser drang in meine Ohren, meinen Mund, meine Nase. Ich presste meine Augen

Weitere Kostenlose Bücher