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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Gefühl, er würde liebend gern im Blut seiner Opfer baden, während Caspar – so selbstverständlich er im Krieg zu töten bereit war – sich nicht daran berauschte. Gewalt war für ihn kein Selbstzweck. Sie diente dazu, seine Überzeugung durchzusetzen, wonach die Welt den Nephilim gehörte und nicht den Menschen. Pack und Füllfleisch nannte Caspar die Mehrheit der Menschen – all jene, die keine besonderen Talente mitbrachten und ihm nützlich sein konnten –, doch solange sie ihm nicht lästig wurden, konnte er gut und gerne darauf verzichten, sie zu töten. Claudius hingegen machte den Eindruck, als sei jeder Tag, an dem er nicht blindwütig einen oder mehrere von dieser Menschenbrut vernichtet hatte, ein verlorener.
    Ein Schauer durchfuhr mich. Dann nahm ich einen weiteren Mann an seiner Seite wahr, der Caspar und somit auch Claudius ähnlich sah. Das musste der Bruder sein, den Caspar auf der Dachsteinlodge erwähnt hatte.
    César …, glaubte ich Aurora sagen zu hören.
    Er stammte wohl von einer anderen Mutter ab als Cara und Caspar – offenbar von einer Südländerin. Fast alle Schlangensöhne waren ungewöhnlich bleich, doch Césars Haut war von einem gesunden Braun. Kräftig waren sie alle – doch er strotzte geradezu vor Kraft, täuschte nicht mit einer starren, dürren, spinnengleichen Gestalt darüber hinweg, dass es sich unglaublich schnell und tödlich bewegen konnte. Und Césars Blick war nicht leer, hart und kalt – ein Funkeln lag darin, bösartig und gefährlich und zugleich lebendig. Er war eine äußerst faszinierende Mischung aus Caspar und Claudius – er besaß Caspars Eleganz, aber nicht dessen Steifheit, und das Gierige, Unverblümte von Claudius, aber nicht dessen Derbheit.
    Als er Cara auf der anderen Seite wahrnahm, grinste er, und während Cara noch erschrocken war, als sie Claudius wahrgenommen hatte, blitzte es beim Anblick dieses Halbbruders in ihren grünen Augen auf, hasserfüllt, vor allem aber spöttisch.
    Doch dann erlosch jegliches Augenfunkeln. Die Stille, die eben noch über allem gelegen hatte, wurde durchbrochen. Es klang wie ein Brodeln, das plötzlich aus den Reihen der Nephilim aufstieg – so als würde der Kampfeswille langsam zu sieden beginnen wie Wasser. Noch standen die meisten starr, doch einige der Alten waren vorgetreten und begannen raunend miteinander zu reden. Ich hörte es nicht genau, konnte nicht einmal sagen, in welcher Sprache sie kommunizierten, doch wieder erklärte es mir Aurora, indem sie meine Hand fest drückte und mir ihre Gedanken übermittelte.
    Offenbar ging es darum zu klären, warum Saraqujal sie hierhergelotst hatte und darum, wo er denn sei. Doch während sie anfangs nur Vermutungen äußerten, wurden jetzt Drohungen und Vorwürfe laut: Die beiden Parteien verdächtigten sich gegenseitig, mit Saraqujal gemeinsame Sache gemacht zu haben.
    Das Brodeln wurde noch lauter, das Zischen der Schlangensöhne klang giftig, das Flüstern der Wächter grollend. Beides ging mir durch Mark und Bein, und auch Aurora schien es schmerzhaft zu spüren. Erst versteifte sie sich, dann begann sie zu zittern. Mit aufgerissenen Augen starrte sie auf die Schwerter, die einige der Nephilim hinter den Alten nun drohend hoben, bereit, sofort auf den Feind zuzustürzen.
    Ehe sie es taten und ehe die Alten ihr Gespräch beendet hatten, nahm ich im Augenwinkel eine Bewegung wahr. Es ging so schnell, dass ich erst glaubte, jemand aus dem Fußvolk hätte die unerträgliche Spannung nicht länger ertragen und den Kampf eröffnet. Doch als ich entsetzt aufschrie, sah ich, dass es nur Marian war, der an mir vorbeigerannt war und nun auf einen der Alten zulief.
     
    Es war einer der Wächter, in dessen schwarzer Kutte Marian sein Gesicht barg. Eine Weile standen die beiden völlig starr, dann sah ich, wie der Alte seine Hand hob und über Marians Kopf strich.
    »Du erkennst mich wieder, nicht wahr? Du kannst dich noch an meinen letzten Besuch bei euch erinnern.«
    Ein erstickter Laut drang zu uns, der meinen Ohren vertraut war: So klang es, wenn Marian zu sprechen versuchte, es aber nicht konnte. Umso mehr erstaunten mich die Worte, die folgten, flüsternde, raue, aber auch verständliche Worte – Worte, die nicht etwa aus dem Mund des Alten kamen, sondern die Marian sprach, entweder vom Schock über all die Ereignisse dazu befähigt oder von dem Alten, der seine Hand weiterhin auf seinem Kopf liegen ließ. Ja, er konnte sprechen, konnte bestätigen, dass er ihn

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