Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
Vom Netzwerk:
ähnlich sah … der wie er Normalität suchte … den er aus seinem Leben zu verbannen versuchte.
    »Ich bin an allem schuld!«, klagte Marians Vater. »Wenn ich mich ihm nicht entzogen hätte … mich ihm widersetzt … er hätte nie diesen Plan ausgeheckt!«
    Auch Marians Schultern bebten. »Fort!«, rief er mit kläglicher, aber doch kräftiger Stimme. »Du warst plötzlich fort!«
    Sein Vater schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich musste dieses Opfer bringen. Ich glaubte zumindest, dass ich es müsste. Für deine jüngeren Geschwister, deine Mutter … Vater hat versprochen, uns in Frieden leben zu lassen, wenn er wenigstens dich bekäme. Aber es war wahnsinnig zu glauben, er würde sich damit begnügen! Er hat das nur getan, um mich zu quälen – und hat insgeheim an seinen Racheplänen festgehalten.«
    Er hob seine Hand, strich Marian über das Haar, küsste seine Stirn. Wieder versuchte er ihn zu umarmen – seinen Erstgeborenen, den er hatte aufgeben müssen –, und diesmal widersetzte sich Marian nicht, sondern klammerte sich seinerseits an ihn.
    Ich blickte zu Sartael und nahm wahr, dass er wohlwollend Neffe und Großneffe betrachtete. Doch plötzlich verwandelte sich seine Miene. Aus den freundlichen Zügen eines alten Mannes wurde eine starre Maske, die nichts Menschliches mehr an sich hatte. Die blauen Augen begannen zu glühen, jedoch nicht warm und freundlich, sondern eisig kalt. Auch andere, die die Wiedervereinigung von Vater und Sohn beobachtet hatten, achteten nicht länger auf die beiden: Ihre Mienen wurden so ausdruckslos wie die der Schlangensöhne, und plötzlich änderten sie ihre Formation. Zunächst hatten die feindlichen Parteien zwei offene Kreise gebildet, nun standen sie einander in einer geraden Linie gegenüber. Ich sah, wie Marians Vater seinen Sohn zurückzerrte, ihn dann von sich schob und ihm den gleichen eindringlichen Befehl gab wie Nathan nun auch mir: »Bring dich in Sicherheit!«
    Ich sah Marian eilig fortlaufen – selbst konnte ich mich nicht rühren. Das Dämmerlicht, eben noch erster Bote des Tages, schien wieder zu erlöschen, die Luft zu brennen unter den Blicken, die die Wächter und Schlangensöhne austauschten. Auroras Hand legte sich noch fester um meine, zog mich zurück.
    »Nein!«, stieß ich aus, »Nein! Ihr dürft nicht kämpfen! Saraqujal hat doch alle in die Irre geführt! Ihr werdet doch nicht tun, was er von euch wollte! Er hat euch belogen, als er …«
    Meine Stimme ging in einem Rauschen unter, von dem ich nicht genau wusste, woher es stammte: Aus ihren Mündern? Oder von den flatternden Umhängen, weil sie alle gleichzeitig nach den Schwertern griffen?
    Es war unmöglich, diesen Kampf zu verhindern. Auch wenn sie unter falschem Vorwand hergelockt worden waren – sie waren seit Hunderten von Jahren darauf aus, sich gegenseitig zu vernichten.
    »Nathan …«, stammelte ich, »Nathan …«
    Er hörte mich nicht. Sein Blick war starr auf Caspar gerichtet, und dieser Blick hatte nichts mehr von dem Mann … dem Nephil, den ich kannte, den ich liebte und der – von der Notwendigkeit geleitet – ein Bündnis mit seinem Erzfeind geschlossen hatte. Nun war dieses Bündnis nicht mehr notwendig. Nun brach jenes Gefühl hervor, das in den letzten Jahren geruht hatte: purer, glühender, absoluter Hass.
    Auroras Griff wurde fester, sie zerrte mich ein paar Schritte zurück.
    »Lauf fort, Mama! Und du auch, Mia!«
    Mia gehorchte ihrem Befehl sofort, versteckte sich hinter einem Baum. Ich zögerte noch, machte dann aber auch ein paar Schritte in diese Richtung – überzeugt, dass Aurora mit mir kommen würde. Doch diese ließ plötzlich meine Hand los, machte kehrt und ging direkt auf das feindliche Heer zu – ausgerechnet in dem Augenblick, als die Alten ihre Hände zum Befehl hoben, loszuschlagen.
    »Aurora, nein!«, schrie ich. Ich rannte ihr nach, wollte nach ihr greifen, doch sie schüttelte nur den Kopf, und als sich ihre blauen Augen in meine bohrten, konnte ich mich nicht mehr bewegen. Wie zur Salzsäule erstarrt blieb ich stehen, ging dann zu Boden. Meine Hände gruben sich in feuchte Erde. »Aurora …«
    Sie wandte sich von mir ab, aber obwohl ich ihrem befehlenden Blick nicht länger ausgeliefert war, konnte ich mich weiterhin nicht rühren. Tatenlos musste ich zusehen, wie sie die Heere erreichte, diese wilden, ungezähmten Nephilim, die danach gierten, einander in einem blutigen Gemetzel zu vernichten, bei dem viele, vielleicht fast

Weitere Kostenlose Bücher