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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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wiedererkannte, und erzählen, was passiert war, von Saraqujals Verschwörung und dass er gescheitert war. Wort um Wort sprudelte aus ihm heraus und seine Stimme gewann an Kraft, auch wenn sie nicht richtig laut wurde. Er sprach in einem melodischen Singsang, dem wie auch seinem Blick etwas Verzweifeltes anhaftete. Als er endlich innehielt, stellte der Alte Fragen, und Marian antwortete schnell. Wieder fiel mehrmals Saraqujals Name und auch der von Lukas.
    Als er geendet hatte, zog der Alte seine Hand zurück und hob den Kopf. Kurz konnte ich sein Gesicht sehen, über das bislang seine Kapuze einen tiefen Schatten geworfen hatte. Der starre Ausdruck erinnerte an den von Saraqujal; er wirkte zwar nicht uralt, aber irgendwie leblos. Doch anders als der irre bösartige Blick von Saraqujal strahlten diese Augen Wärme aus. Die hohe Stirn und das längliche Gesicht kam mir vertraut vor, und ich war mir sicher, dass dieser Alte hier Sartael war, Saraqujals Bruder, der dessen Ausschluss aus dem Ältestenrat erwirkt hatte.
    Er drehte sich langsam zu uns um; sein suchender Blick fiel erst auf Caspar, dann auf Nathan und zuletzt auf Aurora. Er war nicht überrascht, sie zu sehen, sie als Weise zu erkennen – wahrscheinlich hatte Saraqujal ihn mit dem Versprechen hierhergelockt, ihm eine außergewöhnlich begabte und mächtige Nephila zu präsentieren, die ihr 14. Lebensjahr noch nicht erreicht hatte, die man noch beeinflussen und prägen konnte und die dank ihrer herausragenden Fähigkeiten ein großer Gewinn im Krieg gegen die Feinde sein konnte.
    Die anderen Alten, auch die der Schlangensöhne, waren seinem Blick gefolgt. Ich nahm Verwirrung wahr, Empörung und Ärger, hörte, wie wütende Worte durcheinandergingen, und begriff erst jetzt: All diese Nephilim hatten nicht damit gerechnet, hier auf ihre Feinde zu stoßen. Seinem Bruder hatte Saraqujal vorgemacht, dass er wieder voll und ganz auf seiner Seite stünde – und er nicht selbstherrlich über Auroras Zukunft entscheiden, sondern sie dem Rat anvertrauen wollte. Den Schlangensöhnen wiederum hatte er sich als Abtrünniger präsentiert, der die Seinen so sehr hasste, dass er nicht ihnen, sondern vielmehr ihren schlimmsten Feinden eine so mächtige Nephila zuspielte.
    Auch wenn sie verfeindet waren – kurze Zeit schien Einigkeit zwischen den Alten der Wächter und der Schlangensöhne zu herrschen: Darüber, dass sie alle belogen und irregeleitet worden waren, und darüber, dass Saraqujals Verhalten empörend und abscheulich war.
    Doch dann begannen die Heerscharen hinter den Alten unruhig zu werden. Ganz gleich, unter welchen Vorzeichen man sie hierhergelockt hatte – in jedem Fall standen sie ihren Todfeinden gegenüber. Die Luft schien förmlich zu kochen, die Spannung wuchs, manch einer fletschte die Zähne, sichtlich begierig, dass einer der Alten endlich ein Zeichen gab, um die Schlacht zu eröffnen.
    Doch der Erste, der sich schließlich aus der Menge löste, tat dies nicht, um sein Schwert zu ziehen und zu kämpfen. Ein Wächter, der Nathan ungemein ähnlich sah, stürzte auf Marian zu, rief mehrmals seinen Namen und umarmte ihn mit tränenüberströmtem Gesicht.
     
    Marian zuckte zusammen, als der Nephil ihn berührte. Rasch löste er sich aus dessen Umarmung und schmiegte sich schutzsuchend an Sartael. Doch dieser lächelte ihm aufmunternd zu, nickte schließlich, so dass Marian sich traute, den Fremden eingehend zu betrachten. Dieser Mann versuchte nicht, ihn ein zweites Mal zu umarmen, sondern fiel stattdessen vor ihm auf die Knie, um seinen Blick auf gleicher Augenhöhe zu erwidern. Ein ersticktes Schluchzen war zu hören – ich wusste nicht, aus welcher Kehle es kam, erkannte nur, dass dieser Mann nicht nur große Ähnlichkeit mit Nathan hatte, sondern vor allem mit Marian: Seine Haut war ebenso blass, die Züge ebenso fein, die Gesten verhießen ebenso viel Zartheit – aber auch Wendigkeit. Ich ahnte die Wahrheit, bevor der Mann sie aussprach: »Ich bin dein Vater, Marian, ich bin dein Vater, aber ich musste …«
    Seine Stimme bebte so stark, dass er nicht weitersprechen konnte.
    Die Fotos kamen mir in den Sinn, die wir bei den Orquals gefunden hatten – Fotos von einem jungen Mann, dessen Gesicht fehlte und den ich darum irrtümlicherweise mit Nathan verwechselt hatte. Saraqujals Hass auf Nathan und sein Trachten, ihn zu bestrafen, entsprang nicht zuletzt der Verbitterung, dass der eigene Sohn sich ihm widersetzte … ein Sohn, der Nathan so

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