Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
Vom Netzwerk:
das Weinglas aufgefangen hatte, denn er wirkte sehr angespannt.
    Dennoch schüttelte er erneut kaum merklich den Kopf, um mir zu bedeuten, dass ich besser schweigen sollte.
    »Kann ich jetzt schlafen gehen?«, fragte Aurora unwirsch.
    Sie machte einen kränklichen Eindruck. Ihre Stirn war gerunzelt, ihre Haut fahl, die Lippen glänzten beinahe bläulich.
    »Also, kann ich jetzt gehen?«, kam es noch mürrischer.
    »Natürlich kannst du das«, sagte Nathan rasch.
    Wieder legte ich die Hand auf ihre Schulter, diesmal schüttelte sie sie nicht sofort ab, aber entzog sich mir doch. »Ich habe Kopfschmerzen … ein bisschen«, murmelte sie. Sie wartete meine Entgegnung nicht ab, sondern lief so schnell aus der Küche, als müsse sie vor uns fliehen. Wenig später hörte ich, wie sie die Tür des Badezimmers nicht nur hinter sich zuschlug, sondern sogar noch abschloss.
    Wieder schüttelte Nathan den Kopf – besser, wir warteten, bis sie schlafen gegangen war.
    Er ging an mir vorbei und räumte schweigend den Geschirrspüler ein, während ich reglos neben ihm stand, mich nicht rühren konnte und meine Augen starr auf das Weinglas gerichtet blieben.
    Später sah ich noch einmal nach Aurora. Ich hatte sie nicht stören wollen, solange sie im Bad gewesen war, und sie auch in Ruhe gelassen, als sie in ihr Zimmer gehuscht war, doch als ich sicher war, dass sie schlafen würde, schlich ich mich an ihr Bett. Sie lag zusammengerollt wie eine Katze, so, als wollte sie sich instinktiv ganz klein machen, die Decke hatte sie sich fast bis zur Nase gezogen. Zumindest atmete sie tief und ruhig. Ihr rotbraunes Haar lag wie ein Kranz um ihren Kopf.
    Es war ein friedlicher Anblick, den sie bot – aber ich ließ mich keinen Augenblick davon trügen.
     
    Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, stand Nathan am Fenster und starrte in die Dunkelheit. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen – und doch die Gedanken förmlich spüren, die ihm durch den Kopf gingen, sorgenvolle, ängstliche, traurige Gedanken. Ich wollte etwas sagen, aber meine Kehle war wie zugeschnürt, und ihm schien es ähnlich zu ergehen. Als er sich zu mir umdrehte, setzte er mehrmals zu sprechen an, aber es kam kein Wort heraus.
    Plötzlich löste er sich aus der Starre und ging zum Telefon. Ich ließ mich kraftlos auf einen der Stühle am Esstisch fallen und sah zu, wie er den Hörer ergriff und eine Nummer wählte.
    »Wen rufst du an?«, fragte ich.
    »Cara.«
    Trotz aller Sorge – allein der Klang ihres Namens beruhigte mich. Vor aller Welt mussten Nathan und ich unser Geheimnis hüten – nur vor einer Person nicht. Von niemandem konnten wir Hilfe erwarten – von ihr schon: Cara, Nathans treue Freundin, die uns damals, als Auroras Erbe zum ersten Mal erwacht war, so sehr geholfen hatte, die Caspar von Kranichstein getötet hatte und die mit ihrer besonnenen Art stets so viel Ruhe und Gelassenheit ausstrahlte. Wir hatten uns in den letzten fünf Jahren, die sie in Frankreich verbracht hatte, nie gesehen, aber regelmäßig telefoniert und ihr von Auroras weiterer Entwicklung erzählt. Überdies hatten wir ihr zu verdanken, dass wir so glücklich und in Frieden leben durften: Nach den damaligen Ereignissen hatte sie unter den Nephilim das Gerücht gestreut, dass Nathan im Kampf gegen Caspar umgekommen war. Da ihn so alle für tot hielten, blieben er und somit auch wir völlig unbehelligt.
    Ich hörte das matte Tuten, das aus dem Telefonhörer kam, konnte es kaum erwarten, Caras Stimme zu hören, ihre Erklärungen für Auroras Verhalten, und wollte so sehr, dass sich alles als ganz harmlos herausstellte. Aber niemand meldete sich.
    »Sie geht nicht ans Telefon …«, murmelte Nathan und legte auf.
    Unwillkürlich umkrampfte ich die Lehne des Stuhls. Panik überkam mich, stärker und absoluter, als es der Anlass gebot. Kurz fühlte ich mich wie in einem meiner Träume – schutzlos, verlassen, meinen Feinden ausgeliefert.
    »Wo kann sie nur sein?«, fragte ich heiser.
    Nathan zuckte mit den Schultern. Vorhin hatte er nicht versucht, mich zu beruhigen, doch nun setzte er eine vermeintlich gleichmütige Miene auf. »Wahrscheinlich hat sie ihr Handy einfach nicht dabei. Kein Grund, uns Sorgen zu machen. Und was Aurora anbelangt …«, er trat auf mich zu, »was Aurora anbelangt, sollten wir auch nicht in Panik verfallen, sondern lieber ganz nüchtern überlegen …«
    Noch ehe er mich erreicht hatte, war ich aufgesprungen – so hastig, dass der Stuhl umgekippt

Weitere Kostenlose Bücher