Der Fluch der Abendröte. Roman
uns nicht verrückt zu machen.«
Eine Weile schien er mit sich zu ringen, dann drückte er meine Hand.
»Aurora schläft tief und fest«, murmelte ich. »Was immer in ihr vorgeht – im Moment hat es keine Macht. Nicht über sie. Und nicht über uns.«
Er zog mich an sich, strich über mein Haar, meinen Nacken, meinen Rücken. Eine Weile verharrten wir in der Umarmung, dann lösten wir uns beide gleichzeitig daraus und traten – in schweigender Übereinstimmung – nach draußen auf die Terrasse, um dort tief durchzuatmen.
Es war still. Wenn wir im Sommer hier saßen, hörten wir das Zirpen der Zikaden und das Zwitschern von Vögeln, nun vernahmen wir nur den eigenen Atem und dann und wann das Rauschen der Bäume. Nathan zog meinen Kopf an seine Schultern, ergriff wieder meine Hand.
»Du bereust es«, sprach er in die Stille.
Ich hob meinen Kopf. Trotz der Finsternis leuchteten seine blauen Augen wieder. »Was sollte ich bereuen?«
»Die Entscheidung, die wir … die du damals getroffen hast.«
»Die Entscheidung, mit dir zusammenzuleben? Warum sollte ich sie je bereuen? Ich war nie so glücklich wie in den letzten fünf Jahren.«
»Doch, du warst auch früher glücklich«, behauptete er ernsthaft, »damals in Salzburg, als du ganz und gar für das Ziel gelebt hast, Pianistin zu werden. Du hattest große Angst vor öffentlichen Auftritten – aber das Klavierspiel hast du geliebt. Dein Leben war so unbeschwert, deine Zukunft glänzend. Wenn ich damals nicht in dein Leben getreten wäre und alles in diesem Chaos …«
Er kam nicht weiter. Es war schwer genug, dass er sich wie ich um Aurora sorgte, aber unerträglich, dass er darüber hinaus an … uns zweifelte. Ich wusste nicht, was gerade mit meinem Kind geschah, was noch geschehen würde und was das alles zu bedeuten hatte … aber ich wusste, dass ich ihn liebte und dass ich alles durchstehen konnte, wenn ich mit ihm zusammen war.
Um ihn zum Schweigen zu bringen, umschlang ich seinen Nacken, zog sein Gesicht zu meinem und küsste ihn. Kurz, ganz kurz, schien er sich widersetzen zu wollen, aber dann zog auch er mich heftig an sich, dann waren da auf einmal keine Ängste mehr, nur der Geschmack seiner Lippen, so warm, so vertraut, und doch nicht selbstverständlich genug, um nicht jedes Mal dieses Grummeln in meinem Bauch hervorzurufen.
»Komm, komm mit!«, flüsterte er rau, als wir uns endlich voneinander lösten. So viel Verzweiflung lag in seiner Stimme, aber auch so viel Begehren, so viel Angst vor der Zukunft, aber auch die Hoffnung, diese Angst für wenige Augenblicke vergessen zu können. Wir gingen zurück ins Wohnzimmer, von dort hinauf in den ersten Stock – es schien, als ob wir auf einem schmalen Grat wandelten, der Gefahren bewusst, die uns umgaben, aber noch zuversichtlich, den Abgrund überwinden zu können, wenn wir uns nur einfach nicht losließen, uns immer fester aneinanderklammerten, uns hielten, als wäre es für immer.
»Sophie …«, flüsterte er meinen Namen – und da war wieder so viel Verzweiflung und gleichzeitig so viel Begehren. Ich schmeckte beides, als ich ihn wieder küsste und fühlte, wie Tränen in meine Augen stiegen.
Als wir uns voneinander lösten, verschwamm das Bild vor meinen Augen. Ich wischte die Tränen nicht weg. Ich wollte ihn nicht sehen, wollte ihn nur fühlen, wollte ihn streicheln – über sein lockiges Haar, über sein Gesicht, über seinen Nacken. Schließlich begann ich an seinem Hemd zu zerren, hastig, ungeduldig, als bliebe uns nicht mehr viel Zeit, während er mir unglaublich geschickt die Bluse aufknöpfte. Die kalte Nachtluft traf meine Haut und ließ sie frösteln. Umso wärmer waren die Küsse, die er auf meine aufgestellten Härchen hauchte, zärtlich zunächst, dann immer fordernder.
Nach so vielen Jahren war mir sein Körper vertraut, aber immer noch konnte ich mich nicht sattsehen an der glatten, samtigen Haut, den wohlgeformten Schultern, dem muskulösen Bauch; immer noch hatte ich das Gefühl, ihn zum ersten Mal zu fühlen, wie er anmutig und doch so fordernd, zärtlich und doch so bestimmt über meine Brüste streichelte. Die Knospen verhärteten sich, obwohl seine Fingerkuppen kein bisschen rau waren, sondern unglaublich weich und heiß.
Wir sanken aufs Bett: Nun war er es, der mich streichelte, über die bläulichen Adern strich, die sich unter meiner hellen Haut abzeichneten, ehe er mich auf den Mund küsste und dann, als ich meinen Kopf nach hinten bog, weitere Küsse
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