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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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sie gelacht hatte, war verschwunden. Ihr Gefängnis war nicht groß, ein winziger Raum hinter einer schweren Tür, die wahrscheinlich aus Stahl bestand. Es gab keine Fenster, die einzige Lichtquelle war der schmale Spalt unter der Tür. Das fahle Gelb, das dort zu sehen war, war zu schwach, um den Raum zu erhellen. Doch trotz der Dunkelheit hatte Aurora keine Mühe, alles genau zu erkennen. Ihr Blick glich einer Taschenlampe, die beleuchtet, worauf sie gerichtet wird. Nicht nur ihr Sehsinn war unglaublich geschärft – auch ihr Tastsinn. Ihre Haut kribbelte, als würden tausend Ameisen darüber wandern, als sie erst den Boden unter sich befühlte, dann die Wände. Aus Stein waren sie gehauen, unverputzt, rau und feucht. Noch besser als sehen und fühlen konnte sie hören. Sie vernahm nicht nur Mias Schluchzen, sondern auch ihre Gedanken. Ja, Mia sprach kein Wort – und doch konnte sie sie klagen hören.
    Was ist nur mit dir los, Aurora? Was machst du da? Es hat grauenhaft ausgesehen, als du dich auf dem Boden gewälzt hast! Ich dachte, du stirbst!
    Aurora erhob sich wendig. Sie fühlte keine Schmerzen in den Gliedern, obwohl sie die nach solchen Krämpfen eigentlich haben musste. Sie wunderte sich nicht lange darüber, wusste sofort, woran es lag: Die Wunden der Nephilim heilten schneller als die der Menschen. Sie waren unsterblich … konnten nur von ihresgleichen auf drei Arten getötet werden: indem man ihnen das Herz aus der Brust riss, sie enthauptete oder sie verbluten ließ …
    Eben noch hatte sie geglaubt, Mias Stimme zu hören, obwohl diese nichts sagte, nur schluchzte, nun war es Caras Stimme, die sie innerlich wahrnahm, diese warme, ruhige, bestimmte Stimme. Damals, vor fünf Jahren, als die Mächte zum ersten Mal erwacht waren, hatte Cara sie immer beruhigen können. Sie selbst hatte sich kaum zu rühren gewagt, war sich sicher gewesen, dass bei nur einer falschen Bewegung dieses fremde Wesen in ihr erwachen würde, sie selbst aus ihrem Körper vertreiben und dann Dinge sagen und tun würde, die ihr fremd waren und die ihre Mutter so sehr verstört hatten. Also hatte sie damals stundenlang starr gesessen und hatte auf einen imaginären Punkt gestarrt. Doch dann war Cara ihr Kindermädchen geworden und hatte ihr geholfen und sie getröstet. Vor allem hatte sie ihr gezeigt, dass sie vor dem fremden Wesen in sich keine Angst haben musste, dass sie dessen Fähigkeiten vielmehr nutzen konnte. Dass ihre Gabe kein Fluch war, sondern ein Geschenk – vorausgesetzt, sie konnte damit umgehen.
    Ach Cara, seufzte sie innerlich, und obwohl sie die einstige Vertraute so lange nicht gesehen hatte, schien sie ihr so nah wie nie, und die vielen Jahre der Trennung fühlten sich an wie ein flüchtiger Augenblick. Ach Cara …
    Sie hörte Caras sanfte Stimme nicht länger; Mias Schluchzen hingegen wurde nicht weniger, und ihr wurde bewusst, dass ihre Freundin noch dringender des Trostes bedurfte als sie.
    Als Aurora zu ihr hinüberging, kam sie ihr kleiner, dünner vor. Das wendige, kraftstrotzende, selbstbewusste Mädchen, das sie in den letzten Monaten immer beneidet hatte, schien verschwunden.
    Aurora hockte sich neben sie, legte behutsam ihre Hände auf ihre vom Schluchzen zitternden Schultern. »Mia …«
    Die Freundin zuckte zusammen, als hätte sie einen Stromstoß erhalten. Bis jetzt hatte ihr Kopf auf den Knien gelegen, nun fuhr sie hoch, starrte Aurora aus weitaufgerissenen Augen an und rückte dann hastig von ihr ab. Als Aurora sie wieder berühren wollte, stieß Mia mit einem panischem Aufschrei ihre Hand zurück.
    »Aber … aber du hast doch keine Angst vor mir?«, rief Aurora nicht weniger erschrocken. Ihre Stimme klang rau, man hörte ihr das lange Schreien an. Ein Schreien, das Mia zutiefst entsetzt haben musste. Sie musterte sie wie eine Fremde.
    »Mia …«, murmelte Aurora erneut. Ihre Stimme klang nun etwas vertrauter, und langsam, sehr langsam wich das Entsetzen aus Mias Gesicht.
    »Ich dachte, du würdest sterben!«, rief sie voller Verzweiflung. »Ich dachte, du würdest vor meinen Augen sterben, und ich könnte nichts dagegen tun!«
    »Aber ich bin nicht gestorben … und ich werde nicht sterben.«
    Ich bin eine Nephila, fügte Aurora in Gedanken hinzu, Ich werde nie sterben … Es sei denn, einer der Schlangensöhne tötet mich … eines jener Wesen, die mich entführt haben.
    Aber warum haben sie das getan? Steckt … Caspar von Kranichstein dahinter?
    Sie konnte besser sehen, hören

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