Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
Vom Netzwerk:
hastete ich hinter ihm her, stellte mich ihm diesmal aber nicht in den Weg, sondern wahrte Distanz. Meine Schritte wurden vom feuchten Moos gedämpft. Nachdem wir die Straße hinter uns gelassen hatten, wurde der Wald dichter, das Dickicht undurchdringlicher. Eine Ranke blieb an meiner Hose hängen, doch der Jeansstoff war dick genug, um mich vor den Dornen zu schützen. Als ich mich einmal kurz umdrehte, war von unserer Villa nichts mehr zu sehen. Auch der Blick auf den See war von den Bäumen verdeckt. In der Ferne hörte man das Geräusch vorbeifahrender Autos, sonst drang nichts durch die Stille. Die hohen Bäume verschluckten das Sonnenlicht. Fast schwarz war der Boden, die abgefallenen Blätter nicht golden, sondern von fahlem Braun.
    Unbeirrt ging Caspar weiter, und ich folgte ihm, rutschte jedoch plötzlich auf dem feuchten Moos aus und schlitterte über den regendurchtränkten Boden, der leicht bergab ging, wie über Eis. Ich fiel in seine Richtung und blieb unmittelbar hinter ihm liegen. Abrupt fuhr er herum. Das Lächeln, das auf seinen Lippen erschien, wirkte gelangweilt – und zugleich falsch. Plötzlich war ich mir sicher: So gleichgültig, wie er sich gab, war er nicht. Er hatte es vielmehr darauf angelegt, dass ich ihm folgte, hatte mich immer tiefer in den Wald gelotst, wo es keine Zeugen mehr gab … für was auch immer.
    Fröstelnd erhob ich mich und wischte meine schmutzigen Hände an der Hose ab.
    »Hast du Angst?«, fragte er; das Lächeln wurde breiter, war nicht länger nur gelangweilt, sondern spöttisch.
    Ein Spiel, ging mir plötzlich durch den Kopf, für ihn ist es ein Spiel. Und wenn ich mehr aus ihm herausbekommen will, muss ich den Einsatz in die Höhe treiben.
    Ich reckte selbstbewusst mein Kinn. »Und du?«, gab ich zurück. »Hast du Spaß?«
    Er schien ernsthaft nachzudenken, ehe er bekannte: »Ich muss gestehen … ich hätte nicht erwartet, dass es so unterhaltsam sein würde, in die Welt zurückzukehren. Einmal war ich bereits ganz in deiner Nähe, aber damals hat es mich kaltgelassen.«
    Mich gruselte es bei dem Gedanken.
    »Du hast Nathan und mich beobachtet?«, fragte ich dennoch.
    »Ich habe euch gesehen, ja. Aber da drin«, er schlug sich wieder gegen die Brust wie vorhin, und wieder gab es ein hohles, dumpfes Geräusch, »da drin tat sich nichts. Rein gar nichts. Doch jetzt, wo du so verwirrt bist, nicht weißt, was du tun sollst, keine Ahnung hast, in was du da hineingeraten bist … Nathan fort, Aurora fort … jetzt fühlt es sich viel besser an, als sich zu betrinken.« Beinahe kokett zwinkerte er mir zu.
    Ich hielt seinem Blick stand. »Dann tu es!«, forderte ich ihn auf, unterdrückte ein Beben, »berausch dich doch! Weide dich an meiner Hilflosigkeit! Aber hilf mir herauszufinden, was mit Aurora passiert ist!«
    »Eigentlich ist es nicht sonderlich viel, was du mir anzubieten hast«, meinte er gedehnt. »Vor Jahren hast du mir noch vorgelogen, du würdest dich für mich entscheiden, um deine Ziele zu erreichen. Du hast mich sogar geküsst. Und was bietest du mir jetzt? Nur deine Ohnmacht, deine Unwissenheit, deine Dummheit …«
    Als er den Kuss erwähnte, glaubte ich kurz, diese schmalen, bläulichen Lippen auf meinen zu spüren. Ich unterdrückte den Ekel, der in mir aufstieg. »Du möchtest doch auch wissen, was es mit all den rätselhaften Vorkommnissen auf sich hat. Es ist dir nicht gleichgültig. Erst wenn du weißt, was mit Nathan und Aurora passiert ist, kannst du die Entscheidung treffen, ob du dich weiterhin in die Berge zurückziehen oder wieder in der Welt mitmischen willst. Und da alles irgendwie mit mir zu tun hat, kannst du am meisten herausfinden, wenn du an meiner Seite bleibst.«
    »Oho!«, lachte er auf. »Das ist aber ein erbärmlicher Pakt, den du da vorschlägst. Du hast nichts weiter zu geben, als gemeinsam mit dir im Dunkeln zu tappen.«
    »Nein«, erklärte ich fest. »Ich habe dir vor allem … Lebendigkeit zu geben.«
    »Tja«, diesmal heulte er nicht ganz so schrill auf. »Ich fühle mich nur leider gar nicht so lebendig. Genau betrachtet fühlte ich mich vielmehr ziemlich schwach auf den Beinen. Eine kleine Stärkung wäre nicht zu verachten. Schade, dass das Wetter so schlecht ist. Ich meine, wenn ein Wanderer oder Jogger des Weges käme – ich hätte nichts dagegen. Ich habe zwar schon so lange nicht mehr getötet … aber ich glaube, das verlernt man nicht. Genauso wenig wie schwimmen oder Rad fahren, oder was denkst

Weitere Kostenlose Bücher