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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Lippen – ein Zeichen, dass ich leise sein sollte. Wenn dort oben ein Nephil war, würde er Caspars Präsenz vielleicht ahnen – falls es ein Mensch war, konnten wir hingegen hoffen, dass er uns hier unten nicht finden würde.
    Und tatsächlich: Zunächst schienen die Schritte zwar näher zu kommen – dann entfernten sie sich aber wieder zögerlich. Wer immer das Haus durchsuchte, sparte den Keller aus.
    Mein Herz pochte schmerzhaft in meiner Brust, erst vor Schrecken, dann vor Erleichterung. Ich verkniff es mir, laut und hörbar auszuatmen, aber mein eben noch verkrampfter Körper entspannte sich ein wenig. Doch in dem Augenblick, als die Schritte sich immer weiter in Richtung Haustür entfernten und ich mich sicher wähnte, dass die Gefahr ausgestanden war, begann mein Handy zu klingeln. Der schrille, hohe Ton hallte von den Wänden wider. Ich erschrak fürchterlich. Mit zitternden Händen kramte ich in meiner Tasche, zog das Handy hervor. Ich las Neles Namen auf dem Display – Nele, die offenbar wissen wollte, ob ich nun noch mit Aurora nach Salzburg kommen würde oder nicht. Ich drückte den Anruf schnell weg – aber es war zu spät. Die Schritte kamen wieder näher.
    Versagt … sie hatte versagt.
    Es war ihr nicht gelungen, dem Nephil das Schwert abzunehmen. Stattdessen umklammerten seine Hände nun fest den Griff. Er hob es, durchschnitt mit der Klinge die Luft, ließ sie dann auf Mia herabsausen … um erst im allerletzten Augenblick und nur Millimeter über ihrem Kopf innezuhalten. Mia schrie nicht einmal. Mit offenem Mund starrte sie auf die tödliche Waffe, ohne sich zu ducken oder zur Seite zu weichen. Auch Aurora konnte nur regungslos zusehen. Er wird sie töten, ging es ihr durch den Kopf, Mia ist nutzlos für ihn … wer immer uns in seine Gewalt gebracht hat … es geht ihm um mich, nicht um Mia.
    Kurz, nur kurz gab sie sich der Angst um die Freundin hin – und prompt übernahm die fremde Macht in ihr wieder das Kommando.
    Ihre Hände verkrampften sich ineinander, ihre Füße verdrehten sich unnatürlich, ihr Mund spuckte Wortfetzen aus. Und sie konnte sich nicht einmal wehren.
    Sie waren viel zu stark … der Nephil, der Mia bedrohte … und diese Macht …
    Alles drohte in diesem Meer aus Furcht und Panik und Schmerzen und Hilflosigkeit zu versinken. Doch wie vorhin fand sie Halt, kam sie auf einem Fleckchen zu stehen, einer Sandbank gleich, die aus den Fluten ragt. Caras Stimme war lauter als das Rauschen der schwarzen Wellen.
    Du musst wissen, was du willst!, rief sie wieder. Und dann tu es!
    Aurora atmete gegen die Krämpfe an, die ihren Körper schüttelten.
    Ich will hier raus. Ich will Mia retten. Ich will den Nephil überwältigen.
    Und plötzlich wusste sie nicht nur, was sie wollte. Sie wusste auch, dass sie es konnte.
    Eine Verachtung stieg in ihr auf, die sie nicht kannte, ein glühender Hass und ein tiefer Ekel – befremdende Gefühle, weil sie keinen Funken Menschlichkeit in sich trugen und zugleich so unfassbar stark waren.
    Sie starrte auf den Nephil, der grinsend mit dem Schwert spielte.
    Er ist doch nur Fußvolk, ging ihr durch den Kopf, einer von den Schlangensöhnen, den Awwim … den Bastarden, den Hurensöhnen … und ich bin um so vieles stärker als er.
    Die Krämpfe ließen nach, das unangenehme Kribbeln auf ihrer Haut verging. Sie merkte kaum, wie sie wieder auf die Beine kam, sich vor Mia aufrichtete, um sie vor dem Schwert zu schützen.
    Noch wirkte der Nephil keineswegs beunruhigt. Seine schwarzen Augen funkelten sie vielmehr herausfordernd an. »Wenn du dich uns nicht bedingungslos unterwirfst, ist sie tot«, drohte er. »Schwör mir, dass du nie wieder versuchen wirst, mich anzugreifen.«
    Vermeintlich einlenkend senkte Aurora ihren Blick. »Ich werde dich nicht wieder angreifen«, murmelte sie scheinbar demütig.
    Doch in Gedanken fügte sie hinzu: Weil ich das nicht muss. Weil ich dich auch überwältigen kann, ohne körperliche Kräfte einzusetzen.
    Langsam hob sie ihren Blick wieder – den Blick, in dem sie ihre Macht zu bündeln versuchte, jene Macht, mit der sie damals vor fünf Jahren einen wilden Hund besänftigt hatte. Er hatte sich von seinem Besitzer losgerissen, war bellend und mit gefletschten Zähnen auf sie und ihre Mutter zugerast, bereit, sie anzufallen und zuzubeißen. Doch ehe er ihr seine Zähne ins Fleisch schlagen konnte, hatte sie ihre Hand gehoben, hatte ihm ohne Worte befohlen zurückzuweichen, ja, hatte ihn allein kraft ihrer

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