Der Fluch der Abendröte. Roman
Haare erstrahlten nicht im kräftigen Rotbraun, sondern wirkten grau.
»Wir … wir … wir müssen raus hier …«
Ihre Stimme war fast unhörbar leise. Sie wusste nicht, ob sie sich Mia überhaupt verständlich machen konnte. Doch sie sprang schon auf und zog sie am Arm.
»Dann komm doch … komm doch!«
Wieder hatte Aurora das Gefühl, von der Tonne Stahl erdrückt zu werden, doch sie kämpfte dagegen an, stand irgendwann auf ihren Beinen, machte erste Schritte – und erreichte die Tür. Es war ihr, als hätte sie nicht nur einen Raum, sondern eine ganze Wüste durchqueren müssen.
»Warte!« Ihre Stimme klang nun etwas kräftiger. Sie deutete auf das Schwert, das der Nephil fallen gelassen hatte. »Wir müssen es mitnehmen.«
Mia bückte sich nach dem Schwert. Als sie den Griff berührte, überlief ein Zittern ihren Körper. Sie ignorierte es, versuchte sich nicht von der Angst vor dieser unheimlichen Waffe überwältigen zu lassen – und schaffte es dennoch nicht, sie hochzuheben. »Es ist viel zu schwer«, stieß sie aus. Mit zusammengebissenen Zähnen bemühte sie sich weiter, doch sie konnte das Schwert gerade mal um wenige Zentimeter heben, ehe es wieder klirrend zu Boden fiel.
Aurora seufzte. Wenn sie das Schwert mitnehmen wollte, musste sie es selber tun.
Atme regelmäßig! Konzentriere dich auf dein Ziel! Du willst mit Mia hier raus! Und du weißt nicht, gegen wie viele Gefahren du dich noch schützen musst! Auch wenn du andere kraft deiner Gedanken besiegen kannst … vielleicht wird dir das Schwert noch von Nutzen sein!
Der Takt ihres Herzschlags war immer noch holprig, aber wenigstens schlug es nun wieder laut und kräftig, pumpte Blut durch ihren Körper, blaues Nephilim-Blut. Sie fühlte, wie sie sich erholte, wieder erstarkte, wie das Gewicht von ihren Schultern schwand.
»Ich mach das«, erklärte sie knapp.
Sie trat zu Mia, packte nun ihrerseits den Griff, und obwohl sich ihr ein neuerliches Keuchen entrang, schaffte sie, es aufzuheben. »Und nun fort …«
Mia fragte nicht, warum sie über so viele Kräfte verfügte. Nach all dem, was sie beobachtet hatte, schien sie nichts mehr zu verwundern. Sie hastete zur Tür, stellte fest, dass sie nur angelehnt war, und öffnete sie. Hinter der Tür wartete ein schmaler, dunkler Gang auf sie. Mia überschritt die Schwelle, machte ein paar Schritte in die Dunkelheit – und schrie auf. Aurora war ihr gefolgt, aber so darauf konzentriert gewesen, das Schwert zu halten, dass sie nicht sah, was am Ende des Gangs vor sich ging. Als Mia abrupt stehen blieb, lief sie fast in sie hinein. Sie hob den Blick und sah erst jetzt, worauf Mia schreckerfüllt starrte.
Aurora unterdrückte ein Seufzen und umklammerte den Griff des Schwertes fester. Vom anderen Ende des Ganges her kamen fünf dunkle Gestalten auf sie zu.
Wer immer dort oben war – er stand nun vor der Kellertür. Ich wagte kaum zu atmen. Caspar hingegen lachte plötzlich auf – ein fast so schriller Ton wie eben das Klingeln des Handys. Offenbar hatte er Neles Namen auf dem Display gelesen, denn er spottete: »Ein nettes Pläuschchen mit deiner besten Freundin, warum nicht?« Er gab sich keine Mühe mehr, die Stimme zu senken.
»Grüß Nele von mir«, fügte er hinzu. »Sie kann sich sicher noch gut an mich erinnern.«
Damals vor fünf Jahren hatte Caspar Nele fast getötet. Nicht zuletzt das, was sie durch ihn erlitten hatte, hatte zu dieser unüberwindbaren Distanz zwischen uns geführt.
»Halt endlich deinen Mund!«, zischte ich.
»Wie wär’s, wenn ich mich an deiner Stelle mit ihr unterhalte? Du könntest in der Zwischenzeit mal nachschauen, wer dort oben vor der Kellertür steht.«
Ich steckte mein Handy in die Tasche.
Totenstille. Die Schritte waren verstummt.
Wie kalte, feine Tropfen rieselte die Furcht über meinen Nacken, über meine Oberarme, schließlich über meinen Rücken. Meine Härchen stellten sich auf. Der Geruch, der mich umgab, schien noch intensiver zu werden. Ich hatte das Gefühl, Moder, Staub und Schimmel förmlich einzuatmen und mich langsam genauso grau zu färben wie diese.
»Nun geh schon hoch!«, sagte Caspar wieder. »Wer immer es ist – lenk ihn ab!«
Ich blickte ihn empört an und schüttelte den Kopf. Undenkbar, allein die Treppe hinaufzusteigen! »Bist du verrückt?«, entfuhr es mir.
»Wer es auch ist … wenn er erst einmal mit dir beschäftigt ist, kann ich mich heimlich anschleichen … ihn notfalls überwältigen …«
»Wenn es
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