Der Fluch Der Bösen Tat
neigte den Kopf zur Seite und musterte Ruth.
»Sie wurden sitzen gelassen, hab ich Recht?«, fragte sie.
»Was um alles in der Welt soll das heißen?«, hörte Ruth sich fragen.
»Sie wurden sitzen gelassen«, wiederholte Dilys geduldig.
»Genau wie ich. Ihr Freund hat Sie verlassen. Er ist weggegangen, wie meiner.«
»Unsinn!«, entgegnete Ruth.
»Sie wissen, dass ich verheiratet war. Sie kannten meinen Mann! Er ist gestorben.«
»Ich meine nicht ihn«, sagte Dilys verächtlich.
»Davor. Ein junger Kerl.« Sie blickte zu der Stelle mit den geschwärzten Überresten und der beinahe weißen, federleichten Asche.
»Ich muss sagen, ich bin überrascht, dass Sie die Briefe so lange aufbewahrt haben«, sagte sie. Und mit diesen Worten wandte sich Dilys um und trottete in Richtung ihres Hauses davon, als wüsste sie, dass sie eine Feststellung getroffen hatte, auf die es keine Antwort geben konnte. Woher wusste sie es? Wie um alles in der Welt hatte die Frau etwas herausfinden können? War es nur Instinkt, oder – Ruths Herz hämmerte wild bei dem Gedanken – hatte Dilys den Schlüssel gefunden, war dahintergekommen, dass er zum Öffnen der Schatulle diente, und hatte die Briefe gelesen? Ruth hätte nicht für möglich gehalten, dass Dilys so viel Neugier in sich hatte. Jetzt war sie nicht mehr sicher. Zum Teufel mit dieser Frau!, dachte Ruth. Zum Teufel mit dem ganzen Twelvetrees-Clan! Dilys arbeitete bei Ruth und Hester als Reinemachefrau. Sie besorgte die
»Grobarbeiten«, schrubbte die alten Steinfliesen in der Küche, putzte Fenster, klopfte im Hinterhof an einer Stange die Teppiche aus. Im Winter räumte sie außerdem den Holzkamin im Wohnzimmer aus. Dilys war gut im Schälen von Kartoffeln und Karotten und entlastete Hester beim Zubereiten ihrer komplizierten Saucen und Gerichte. Natürlich hätten Ruth und Hester ohne Probleme all das allein geschafft. Doch was für eine andere Arbeit hätte Dilys Twelvetrees in Lower Stovey gefunden? Dilys Arbeit zu geben war etwas, das Reverend Pattinson, Ruths Vater, als einen Akt christlicher Nächstenliebe bezeichnet hätte. Mehr noch, die Verbindung zwischen ihren Familien reichte Generationen zurück. Vor vielen Jahren hatte Dilys’ Mutter in den Diensten von Ruths Mutter gestanden und die Böden im Vikariat geschrubbt. Dilys’ Bruder, der junge Billy Twelvetrees, hatte den Rasen im Vikariatsgarten gemäht, bevor er aus Lower Stovey weggegangen war, um sein Glück draußen in der Welt zu suchen. Als Ruth und ihr verstorbener Ehemann nach Lower Stovey zurückgekehrt waren, um sich in Old Forge niederzulassen, war Dilys gleich am ersten Morgen vor ihrer Türschwelle aufgetaucht und hatte unerschütterlich verkündet:
»Sie wollen sicher, dass ich bei Ihnen putze.« Keine Frage, eine Feststellung. Und der Anblick von Dilys’ konturloser Gestalt und abgearbeiteten Händen verstärkte das Gefühl von Schuld noch, das mit sich zu tragen Ruth allem Anschein nach seit ihrer Geburt vom Schicksal auferlegt worden war. Es lastete auf ihren Schultern, und sie war nicht im Stande, es abzustreifen. Sindbad hatte den Alten Mann des Meeres auf dem Rücken, und sie, Ruth, hatte Dilys. Ruth erinnerte sich so klar an ihre erste Begegnung mit Dilys Twelvetrees, als wäre es gestern gewesen. Beide Frauen waren fünf Jahre alt, und es war ihr erster gemeinsamer Schultag gewesen. Die Schule war die Lower Stovey Church Primary School gewesen, was sonst. Sie existierte längst nicht mehr. Schwindende Schülerzahlen hatten dazu geführt, dass sie vor einer Reihe von Jahren geschlossen worden war. Das Gelände war verkauft, die Gebäude umgebaut und modernisiert worden. Heute bildeten sie eine Gruppe von Maisonettes, eigentlich recht geschickt gemacht. Die Leute, die in School Close lebten, waren zwar Einwohner von Lower Stovey, doch sie waren keine Dorfbewohner. Sie pendelten zur Arbeit nach Bamford oder sonst wohin. Gelegentlich zeigten sie sich des Abends im Fitzroy Arms, doch ansonsten blieben sie unsichtbar und nahmen nicht am Dorfleben teil. Oder, wie Ruth bei sich dachte, dem, was heutzutage noch von einem Dorfleben übrig war in Lower Stovey. Reverend Pattinson hatte es als richtig und schicklich erachtet, dass seine Tochter zusammen mit den anderen Dorfkindern die Grundschule besuchte. Die unausweichliche Privatschule würde erst später kommen. Es lag nicht daran, dass ihre Eltern es nicht ertragen hätten, Ruth viele Meilen weit weg zur Schule zu schicken. Es wäre nett
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