Der Fluch Der Bösen Tat
gewesen, das zu denken, doch es stimmte nicht. Hätten sie beschlossen, dass es das Richtige war, sie von Anfang an auf eine Privatschule zu schicken, sie hätten sie tagaus, tagein mit dem Wagen hingefahren und abgeholt. Doch sie hatten entschieden, dass es besser war, wenn sie die Lower Stovey Church Primary besuchte. Vielleicht waren sie auch nicht unglücklich darüber gewesen, noch einige Jahre die Schulgebühren zu sparen und die Mühen des täglichen Schulweges. Doch hauptsächlich war der Vikar (mehr als seine Frau, die das Dorf besser kannte als er) der Überzeugung, dass Ruth lernen würde, wenn sie sich unter die Kinder des Dorfes mischte, und die Dorfkinder ihrerseits von Ruth. Mehr noch, die Eltern der anderen Kinder würden sehen, dass der Vikar und seine Familie nicht unnahbar waren, sondern Menschen, genau wie sie selbst, mit denen man reden konnte. Was sie nicht waren und niemals sein konnten, dachte Ruth wenig freundlich. Die vier Jahre an der Lower Stovey Church Primary waren furchtbar gewesen. Gute Absichten führen nicht zwangsläufig zu guten Ergebnissen. Ruth war von Anfang an eine Außenseiterin gewesen, ein Sonderling, auf den die anderen Kinder verächtlich herabgeblickt hatten. Sie hatte sich zu vornehm ausgedrückt. Ihr Vater arbeitete nicht mit den Händen, hatte keine richtige Arbeit. Er war irgend so ein heiliger Joseph, der in seiner Bibliothek zwischen Büchern saß. In Ruths Ohren klang heute noch nach, wie die anderen Kinder ihre Eltern zitiert und sich über die Worte lustig gemacht hatten. Der spirituelle Führer der Gemeinde war ihnen wie ein altes Waschweib erschienen. Doch seine Frau war von einem ganz anderen Kaliber gewesen. Ruths Mutter war vor ihrer Heirat mit Reverend Pattinson eine geborene Miss Fitzroy gewesen, die Letzte ihrer Linie. Sie war im Manor aufgewachsen (heutzutage ein Altenheim für die Wohlsituierten). Die älteren Dorfbewohner hatten die Eheschließung ignoriert und sie weiterhin als
»Miss Mary« angesprochen. Die Frau des Vikars fuhr einen Wagen, im Gegensatz zu allen anderen Frauen im Dorf vor fünfzig Jahren. Einmal in der Woche fuhr sie damit nach Bamford, um sich bei einem richtigen Friseur die Haare waschen und legen zu lassen, und zweimal im Jahr unternahm sie eine Expedition per Zug nach London, wo sie sich, wie die Dorfbewohner ehrfürchtig tuschelten, bei Harrod’s Hairdressing Department die Haare schneiden ließ. Die Frauen im Dorf machten sich gegenseitig Dauerwellen, die in feuchtem Wetter kraus wurden und ihre Besitzerin aussehen ließen, als hätte sie einen elektrischen Schlag erlitten. An ihrem ersten Schultag war Ruth mittags verwirrt gewesen, als man ihr sagte, es wäre nun Dinner-Zeit, und wenn sie nicht in der Schule essen wolle, solle sie nach Hause gehen und um zwei Uhr zurückkehren. Im Vikariat aßen sie ihr Dinner abends. Sie verursachte allgemeine Erheiterung, als sie sagte:
»Oh, Sie meinen den Lunch.« Nur, dass sie eigentlich hätte sagen sollen
»Luncheon«, denn der Vikar war sehr genau in derartigen Kleinigkeiten. Es war einer jener zahlreichen Fauxpas, die Ruth niemals vergessen durfte. An jenem ersten Schultag hatte sie direkt neben Dilys Twelvetrees gesessen und war gestresst gewesen wegen des merkwürdigen Geruchs, der von dem Kind aufstieg. Später war sie im Stande, den Geruch zu identifizieren. Er stammte von ranzigem Bratfett und gekochtem Kohl, und der Geruch haftete an Dilys’ Kleidung, die nur selten gewaschen wurde. Genau wie Dilys, was das anging. Um fair zu sein, die Mehrheit der Eltern im Dorf hätte wahrscheinlich nicht im Traum daran gedacht, ihren Nachwuchs anders als frisch und sauber zur Schule zu schicken, die Jungen mit militärisch kurzem Haarschnitt und die Mädchen mit ordentlich geflochtenen Zöpfen. Doch die Familie Twelvetrees war nicht, wie Ruth bald herausfand, wie andere Familien. Die übrigen Dorfbewohner begegneten den Twelvetrees mit Misstrauen und Nervosität. Sie waren ebenfalls gewissermaßen Außenseiter, und Ruth fragte sich manchmal, ob der Klassenlehrer die beiden Mädchen aus diesem Grund nebeneinander gesetzt hatte, in der Hoffnung, dass individuelle Isolation sie dazu bringen würde, Freundschaft zu schließen. Falls das der Plan gewesen war, so hatte er nicht funktioniert. Dilys mochte
»eine von diesen Twelvetrees« sein, doch sie hatte Teil an der allgemeinen Herablassung gegenüber Ruth. Dilys hatte zwei ältere Geschwister, die ebenfalls in die Primary School gingen,
Weitere Kostenlose Bücher