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Der Fluch Der Bösen Tat

Der Fluch Der Bösen Tat

Titel: Der Fluch Der Bösen Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Granger Ann
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anders, ich habe mich gefragt, nur für einen Moment, verstehst du, ob sie vielleicht Simon gefunden haben.« Die beiden Frauen starrten sich an. Dann riss sich Hester zusammen.
    »Unsinn!«, sagte sie.
    »Er muss schließlich irgendwo sein, oder?«, entgegnete Ruth.
    »Aber doch nicht in den verdammten Stovey Woods!« Sie hatten diesen Streit schon früher ausgetragen. Ruth hatte schließlich nachgegeben, nicht, weil sie einräumte, dass Hester Recht hatte, sondern weil sie, Ruth, es besser wusste und weil es deswegen nicht notwendig war, dass Hester oder sonst irgendjemand ihr zustimmte. Sie gingen gemeinsam zum Haus zurück. Ruth folgte Hester in die Küche und sah ihr zu, wie sie die Rhabarberstangen unter dem Wasserhahn abwusch.
    »Man sollte nicht für möglich halten, dass sie nach diesem Regen noch mal gewaschen werden müssen«, sagte Hester in einem Versuch, wie Ruth wusste, die Konversation von der schauderhaften Entdeckung wegzulenken. Doch es gehörte mehr dazu als das, um sie aus Ruths Gedanken zu vertreiben. Billy Twelvetrees fiel ihr ein, und sie schlug vor:
    »Wenn du vom Rest vorhast, Marmelade zu machen, warum gibst du Dilys nicht ein oder zwei Gläser oder stellst sie dem guten alten Billy vor die Tür, wenn du vorbeikommst? Ich bin sicher, der alte Bursche würde sich darüber freuen.« Es war eine Eingebung des Augenblicks gewesen, diesen Vorschlag zu machen, trotzdem hatte sie das Gefühl, als versuchte sie, den Alten irgendwie zu kaufen, was natürlich dumm war. Oder doch nicht?
    »Gütiger Gott!«, platzte sie hervor und vergrub das Gesicht in ihren Händen.
    »Na komm.« Hester war bei ihr, tröstend, verlegen, ernst, und tätschelte ihr mit der nassen Hand die Schulter.
    »Die Chance, dass diese elenden Knochen … dass es seine sind, stehen eins zu einer Million. Du weißt doch nicht mal, wo er ist. Niemand weiß es!«
    »Ich habe immer gewusst, wo er war«, sagte Ruth und nahm die Hände vom Gesicht.
    »Er war in Stovey Woods, all die Jahre, und hat darauf gewartet, dass wir ihn finden. Und jetzt hat jemand anders ihn gefunden. Du wirst sehen.«
    Die Entdeckung der Knochen bedeutete, dass Ruth etwas unternehmen musste. Etwas, das sie schon vor Jahren hätte tun sollen. Sie ließ Hester in der Küche zurück, wo sie munter Rhabarber schälte und Kuchen backte für das Mittagessen, ihre Hauptmahlzeit für diesen Tag. Ruth schlüpfte in ihr Schlafzimmer und nahm ein kleines Rosenholzkästchen aus den Tiefen ihres Kleiderschranks.
    Es war ein recht kleines Kästchen, eine viktorianische Reiseschatulle, ursprünglich mit verschiedenen Unterteilungen versehen, um die verschiedenen Salben, Heilmittel und andere medizinische Notwendigkeiten des Tages unterzubringen. Sie hatte ihrem Vater gehört, und er musste es gewesen sein, sinnierte sie, der die Unterteilungen entfernt hatte, sodass nur noch die Schatulle übrig geblieben war, um Papiere darin aufzubewahren. Er hatte Rechnungen und Quittungen darin aufbewahrt, die mit der Kirche zu tun hatten. Sie stellte die Schatulle auf ihr Bett und holte den Schlüssel, den sie unter einer Vase auf dem Kaminsims aufbewahrte. Sie schloss die Schatulle auf und öffnete sie an dem kleinen Messinggriff in der Mitte des Deckels. Ein vertrauter Geruch stieg ihr in die Nase, zusammengesetzt aus den Erinnerungen an die ursprüngliche Bestimmung des Kästchens, einem stechenden Hauch Riechsalz, einem schwereren, süßlicheren Geruch, der vermutlich Laudanum gewesen war, süßem Lavendelöl, scharfem Pfefferminz und dem exotischen Aroma von Gewürznelken. Die Schatulle enthielt immer noch Papiere, Umschläge, abgenutzt vom vielen Berühren und ein wenig vergilbt.
    Ruth nahm sie hervor und breitete sie auf dem Bett aus. Der Anblick der Handschrift, in welcher die Worte Miss Ruth Pattinson verfasst waren, verursachte einen schmerzenden Kloß irgendwo in ihrem Hals. Es war keine Trauer, die sie spürte – die Trauer war vor vielen Jahren gestorben. Es war auch kein Zorn, der war ebenfalls längst tot. Die Anstrengungen, die Flamme am Leben zu halten, waren zu groß gewesen. Was war es dann? Scham? Oder etwas so Banales wie Verlegenheit? Man sollte Verlegenheit als Emotion niemals unterschätzen, dachte sie melancholisch. Es gab viel mehr Dinge, die aus diesem Motiv heraus geschehen – oder unterblieben – waren, als aus irgendeinem anderen, besser angesehenen Beweggrund.
    Ihre Finger bewegten sich wie aus eigenem Willen, nahmen den nächsten Umschlag zur Hand und

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