Der Fluch der bösen Tat
nicht gegeben haben, die das geschafft haben. Und alle Schulen archivieren die Klassenfotos ihrer Jahrgänge. An irgendeiner Schule in Kopenhagen existiert ein Bild von dem, den du suchst. Von deinem Mörder.«
Per schaute sie anerkennend an.
» Muy bien, guappa « , sagte er, griff nach dem Handy und wählte eine Nummer, während er sie breit anlächelte, so daß sie sich wie eine Schülerin mit Fleißkärtchen fühlte.
»John, hier ist Per«, sagte er. »Laß ein paar Leute in den Gemeindebüros anrufen. Ich will die Namen der jugoslawischen Gastarbeiter, in deren Familien 1968, ’69und ’70 Jungen geboren wurden. Mit diesen Namen gehen wir dann zum Einwohnermeldeamt und prüfen nach, ob sie noch hier wohnen und im Bereich welchen Schulamts sie aufgewachsen sind. Hast du das?«
Per hörte John zu und unterbrach ihn dann.
»Ich weiß, daß in den Sechzigern und Siebzigern 25000 jugoslawische Gastarbeiter nach Dänemark gekommen sind, aber wir reden von drei Jahrgängen, also unmöglich ist es nicht, und je länger du rumquasselst, desto mehr Zeit verlieren wir. Ich bin in einer halben Stunde da.«
Per fuhr Lise zu ihrer Wohnung. Oles Auto parkte vor dem Haus, anscheinend war er da, es sei denn, er hatte ein Taxi zur Arbeit genommen, weil er in der Nacht davor wieder gesoffen hatte. Per gab ihr einen raschen Kuß.
»Ich ruf dich an«, sagte er.
»Ich fahre nachher in die Redaktion.«
Sie sah ihn wegfahren und vermißte ihn schon. Sie schloß die Haustür auf und stieg langsam die Treppe hinauf. Sie hatte keine Lust auf eine Konfrontation und beschloß, sauer zu sein und nur schnell die Kleider zu wechseln und dann zur Zeitung zu radeln. Lise gehörte zu den wenigen Menschen, die nie den Führerschein gemacht hatten. Sie hatte nie Lust dazu gehabt. Sie schloß auf. Die Wohnung wirkte verriegelt und unbewohnt. Sie rief vorsichtig und erhielt keine Antwort. Ole hatte das Wohnzimmer aufgeräumt und die Spülmaschine laufen lassen, aber nicht eingekauft. Das Licht des Anrufbeantworters blinkte, und Oles Sekretärin bat um freundlichen Rückruf, ob er krank sei und ob sie die Patienten für die nächsten Tage abbestellen solle.
Lise rief die Sekretärin an, die nicht verstand, wo Ole blieb. Er war nicht zur Arbeit gekommen und hatte nicht Bescheid gesagt. Lise sagte, es sei wohl am besten, wenn sie die heutigen Patienten abbestellte, und versprach, sich wieder zu melden. Die Sekretärin wirkte besorgt, aber auch dankbar, daß ihr jemand die Entscheidung abnahm. Lise rief in der Zeitung an und fragte, ob Ole angerufen habe, aber auch dort: Fehlanzeige.
Sie setzte sich in die Küche und trank ein Glas Saft.
»Wo zum Teufel steckst du, verdammt?« sagte sie. Sie war besorgt. Es war nicht Oles Art, ohne Nachricht zu verschwinden. Und es war absolut nicht seine Art, seine Patienten im Stich zu lassen, gleichgültig, welche Probleme er sonst hatte.
Sie zog sich um und fuhr in die Redaktion, wo sie ihre Artikel über den Sara-Santanda-Besuch für den Druck vorbereitete. Sie hatte ein Porträt geschrieben und einen Bericht über die iranische Fatwa gegen die Autorin, aber mit Tagesen abgesprochen, die Artikel nicht in den elektronischen Kreislauf der Zeitung einzugeben, wo alle sie lesen konnten. Das würde sie erst am Abend vor Saras Ankunft mit der Morgenmaschine aus London tun, damit ihre Beiträge am Tag der Pressekonferenz erscheinen konnten. Das wäre ein schöner Exklusivbericht, und Per hatte sie nicht davon abbringen können. Er hätte am liebsten jede Erwähnung vermieden, aber in dieser Frage hatte er nichts zu sagen. Politiken wollte die Story auf der ersten Seite. Wenigstens in diesem Fall wollte die Zeitung schneller als die elektronischen Medien sein. Nach der Pressekonferenz wollte Lise mit Sara ein Exklusivinterview in der konspirativen Wohnung führen. Damit wären sie allen Konkurrenten voraus.
Lise rief mehrere Male zu Hause an und zweimal bei Oles Sekretärin, aber auch sie hatte keine Nachricht von ihm.
Per rief an, und sie erzählte ihm von ihren Sorgen, aber er tat sie ab. Als ob er es als völlig normal ansähe, daß der Ehemann sich mir nichts dir nichts in Luft auflöste. Oder jedenfalls keine Nachricht hinterließ. Aber natürlich konnte er nicht wissen, daß sie sich sonst immer erzählt hatten, wo sie waren. Sie hatten es immer als wichtig angesehen, wenigstens einmal am Tag miteinander zu sprechen. Sogar auf Reisen, und meistens war sie es, die verreist war, hatten sie sich bemüht,
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