Der Fluch der bösen Tat
leben in einer gefährlichen Welt. Denk dran, Krawtschow«, sagte er.
Krawtschow nickte. In seinem Magen spürte er plötzlich einen kalten Block. Vuk war jung, aber wenn man ihm gegenüberstand, hatte man das Gefühl, eine Giftschlange vor sich zu haben. Er hatte ein nettes Lächeln, aber Zähne aus Stahl, dachte Krawtschow.
»Morgen, Vuk«, sagte er nur und entließ Vuk in die Berliner Nacht, während er zu Rezi zurückging, um die näheren Dinge zu besprechen: Sicherheiten, Überweisungswege, Waffen und sonstige Logistik. Er wollte die iranische Regierung dazu bringen, alles mit der diplomatischen Post zu liefern. Am besten alles noch heute nacht klären. Da ging es ihm wie Vuk. Als alter KGBler hatte Krawtschow einen Heidenrespekt vor dem deutschen Nachrichtendienst und wollte nicht öfter als unbedingt nötig mit dem iranischen Agenten gesehen werden. Außerdem waren die Iraner unberechenbar. Er hatte nicht viele Freunde aus den guten alten Tagen in Teheran behalten. Im iranisch-irakischen Krieg war Moskau auf der anderen Seite gewesen, aber Krawtschow hatte seine Verbindungen trotzdem warmgehalten. Damals, als er einem Staat diente, der allgemein respektiert war. Er verdiente jetzt mehr, aber wenn er könnte, würde er gern die Zeit zurückdrehen und wieder einem Staat dienen, der Einfluß auf der ganzen Welt hatte. Nichts konnte mit dem Gefühl verglichen werden, der Elite des Staates anzugehören. Krawtschow empfand also irgendwie auch eine kitzelnde Freude. Ein wenig erinnerte ihn das hier an die gute alte Zeit, als er alle Fäden in der Hand hielt und Agenten in Feindesland schickte. Nichts konnte sich mit einer verdeckten Operation messen. Nicht einmal Sex, dachte er.
Diese Gedanken gingen ihm auch am nächsten Vormittag durch den Kopf, als er den Tiergarten durchquerte. Das Laub der Parkbäume war staubgrün, und die ersten gelben Blätter lagen zu seinen Füßen, als er den Kiesweg zum Goethe-Denkmal hinaufschlenderte. Ab und zu wurde er von einem Fahrrad überholt. Mütter schoben Kinderwagen. In der Ferne hörte man den Verkehr der Großstadt. Ein verliebtes Paar ging eng umschlungen. Ein Eichhörnchen kletterte behende einen Stamm hinauf. Es erinnerte ihn an die Parks in Moskau und an seine Kindheit. Er war ganz in Gedanken verloren. Ein gut gekleideter, mittelaltriger Herr bei seinem Vormittagsspaziergang. Wenn man ihn betrachtete, konnte man leicht auf den Gedanken kommen, er sei ein Geschäftsmann, der es so weit gebracht hatte, daß er sich schon im frühen Alter zur Ruhe setzen konnte.
Krawtschow bemerkte den jungen Mann im blauen Jogginganzug nicht, der ein Dutzend Meter hinter ihm an einem Baumstamm seine Dehnübungen machte. Er war bloß einer von vielen Joggern. Neben dem jungen Mann hielt ein Radfahrer an. Er hatte eine Kamera um den Hals, und auf dem Gepäckträger lag ein Buch über die Vögel des Tiergartens. Der Jogger nickte diskret. Der Ornithologe nahm seine Kamera und machte rasch eine Fotoserie von Krawtschow. Dann setzte er sich wieder aufs Rad und fuhr an dem spazierenden Russen vorbei. Ein Stückchen weiter bremste er und schaute in sein Buch. Er ließ das Rad stehen und betrat die Grasfläche, die leicht anstieg. Er hob die Kamera und machte mehrere Fotos von einem entfernt stehenden Baum. Rasch schielte er auf den herankommenden Krawtschow hinunter, und macht schnell zwei Fotos von seinem Gesicht, bevor er sich wieder in das Vogelbuch vertiefte.
Krawtschow sah den Mann mit der Kamera sehr wohl. Einen Moment lang war er auf der Hut, aber als er das Buch bemerkte, seine karierte Mütze und den entzückten Gesichtsausdruck eines Menschen, der ein seltenes gefiedertes Wesen erblickt hatte, kehrte er zu seinen Gedanken zurück. Er dachte an seine Jugend und seine Laufbahn im KGB. Im großen und ganzen war vielleicht alles umsonst gewesen, aber die Erinnerungen an gelungene Aktionen und echte Kameradschaft konnte ihm keiner nehmen. Er dachte an Vuk. Ein sonderbarer junger Mann. Über die Maßen begabt. Charmant, wenn er Lust dazu hatte. Kaltblütig und ohne jede Nervosität. Mit den seltsamen blauen Augen, die so kalt wirkten, aber einen Schmerz enthielten. Er hatte diese jungen Männer in Afghanistan gesehen. In Angola und natürlich in Bosnien. Sie verrieten nichts und verrieten doch alles. Es war gut, sie auf seiner Seite zu haben. Es war lebensgefährlich, sie als Feinde zu haben. Wenn sie Skrupel hatten, zeigten sie sie nicht. War er einst nicht selbst so gewesen? Einst.
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