Der Fluch der bösen Tat
Wenn er sich aus drei Kilometer Höhe furchtlos aus der Maschine fallen ließ und auf die dunkle Erde zusauste und bis zum letzten Augenblick wartete, bevor er den Fallschirm öffnete. Wo die Angst, die alle Menschen empfanden, sich statt zu lähmen in einen Brennstoff verwandelte, der alle Sinne schärfte und alle Muskeln dazu brachte, zusammenzuspielen und ihr Bestes zu geben. Er war selbst im Felde gewesen und wußte, daß er ein guter Führungsoffizier gewesen war. Anspruchsvoll, bestimmt und entschieden, aber stets loyal und verständnisvoll. Und das alles hatte keinerlei Nutzen gebracht. Oder …? Er besaß jetzt genug Geld, aber im stillen wußte er natürlich, daß er seine Kräfte nicht nur deshalb in einer neuen Geheimorganisation einsetzte. Er konnte auf Spannung nicht verzichten, außerdem wußte er zuviel, als daß sie ihm erlaubten, sich zurückzuziehen und seinen Lebensabend zu genießen. Die Organisation war seine Familie. So war es immer gewesen. Nun hieß sie nur anders. Sie diente nicht mehr einem Land, sondern dem Götzen Geld, aber wie früher der KGB fühlte sich auch die Mafia hoch erhaben über alle Gesetze mit Ausnahme ihrer eigenen.
Krawtschow entdeckte Vuk. Er stand am Denkmal und rauchte eine Zigarette. Er hatte die üblichen Jeans und die Lederjacke an. Aber er war beim Friseur gewesen, schön kurz mit Seitenscheitel. Krawtschow sah, wie Vuk einem Läufer mit den Augen folgte und kurz darauf dem Vogelliebhaber, der auf seinem hohen Herrenrad vorbeifuhr. Er war wachsam, dieser Vuk. Wie wohl sein richtiger Name lautete? Und was war seine Geschichte? Würde er sie ihm vielleicht einmal erzählen? Die jungen Agenten hatten oft einen Vater nötig. Am Ende wurde es doch oft persönlich. Etwas für das Vaterland zu tun war merkwürdig abstrakt. Schwierige und manchmal furchtbare Dinge für einen Freund, einen Kameraden, einen Ersatzvater zu tun war viel leichter. Auf diese Weise hatte er immer sein Netz ausgeworfen. Sich Zeit genommen, zuzuhören, zu trinken, sich etwas anvertrauen zu lassen. Das erzeugte Loyalität. Aber leider schien Vuk das nicht zu brauchen. Als hätte er einen Eisklumpen in seinem Innern. Aber vielleicht … wenn alles überstanden war, konnte er Vuk nach Moskau einladen. Wenn es richtig Winter wurde und sie am Kamin seiner neuen Datscha Wodka trinken und Geschichten erzählen konnten.
»Guten Morgen, Vuk«, sagte er.
»Laß es uns kurz machen, Krawtschow«, sagte Vuk.
»Niemand weiß, daß ich hier bin. Ich bin pensioniert.«
»Kurz, Krawtschow«, sagte Vuk. »Komm, laß uns gehen.«
Sie gingen nebeneinander den Kiesweg entlang.
»Ich brauche einen dänischen Paß. Sauber. Nicht gestohlen.«
» No problem. Zwei Tage. Wann bist du geboren?«
»1969.«
Einen dänischen Paß zu fälschen oder zu ändern war das Einfachste von der Welt. Krawtschow verstand nicht, warum die Dänen einen Paß hergestellt hatten, in dem die beiden wichtigsten Seiten problemlos herauszunehmen waren und das Bild nicht einmal beschichtet war. Aber das machte das Leben für einen wie ihn ja nur einfacher, je länger der Paß also in Gebrauch war, um so besser für ihn.
»Okay. Sonst noch was?« sagte er.
»Einen britischen Paß. Auch sauber. Einen Führerschein unter demselben Namen samt Kreditkarte. Die muß mindestens eine Woche halten.«
» No problem. «Das war schwieriger, ließ sich aber machen.
Vuk gab ihm zwei Paßbilder. Auf den Fotos trug er einen Schlips, wahrscheinlich waren sie heute morgen in einem Automaten aufgenommen worden. Auf dem Bild ähnelte Vuk einem jungen, ehrgeizigen Geschäftsmann, der dem Betrachter unbefangen und selbstsicher in die Augen schaute.
»Keine Treffen mehr. Wir kommunizieren per Post. Poste restante, Købmagergades Postkontor, Købmagergade 33, 1000 København K.« Er gab Krawtschow einen Zettel mit der dänischen Adresse und fuhr fort: »Das ist das Postamt im Bahnhof Zoo. An Mr. John Smith, falls nötig. Du schickst mir einen Schließfachschlüssel, wenn die Waffen da sind. Du bringst sie nach Dänemark.«
»Okay. Welche?«
»Eine Dragunow mit Tag- und Nachtfernrohr. Beretta 92. Zwei Extramagazine. Munition natürlich.«
Das war zu erwarten, dachte Krawtschow. Die Dragunow war eine in Rußland hergestellte Heckenschützenbüchse, und das jugoslawische Bundesheer hatte ein Kopiemodell gebaut. Die Beretta 92 war eine moderne Pistole, die fünfzehn Schuß enthielt und in großen Mengen produziert wurde. Es waren vielleicht nicht die
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