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Der Fluch der bösen Tat

Der Fluch der bösen Tat

Titel: Der Fluch der bösen Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Sean Connery mit falschen Synchronstimmen sprachen. Morgens und abends lief er zehn Kilometer im Tiergarten und führte ein hartes Krafttraining auf dem Boden des Hotelzimmers durch. Liegestütze, Streckübungen und Rumpfbeugen. Die körperliche Beschäftigung lenkte ihn von den Versuchungen der Minibar ab. Das Fernsehen half die nagenden Dämonen auf Abstand zu halten, nur ein einziges Mal träumte er von der Blutwalze, und es gelang ihm aufzuwachen, bevor sie unter der flammenden Sonne erschien.
    Er kaufte einen hübschen mittelgroßen Koffer, eine Sporttasche und einen dunkelblauen Anzug sowie ein helles Hemd und eine Krawatte mit kleinen rotblauen Vierecken. Ihm war aufgefallen, daß die meisten Geschäftsleute so herumliefen, wenn sie mit Diplomatenköfferchen in der einen und Handy in der andern Hand durch Berlins Straßen hasteten.
    Das Hotelpersonal war diskret und betrachtete ihn offenbar als harmlosen Touristen, der das neue wiedervereinigte Berlin erleben wollte. Er nahm im Hotel nur das Frühstück zu sich und suchte sich jeden Abend ein anderes anonymes Steakhaus in der Umgebung des von Menschen wimmelnden Ku’damms. Das Wetter war weiterhin mild, obwohl vereinzelt Wolken über die Stadt zogen und er am nächsten Morgen, als er unter den hohen Bäumen des Tiergartens seine Runden drehte, naßgeregnet wurde. Der Spätsommer bereitete sich darauf vor, in den Herbst überzugehen, und die größten Blätter an den Bäumen hatten schon gelbe Ränder bekommen. Beim Laufen durch den milden Regen und mit dem Summen des Verkehrs von der Straße des 17. Juni im Ohr fühlte er sich wohl. Das Laufen erinnerte ihn an die schönen Zeiten in der Gruppe der Auserwählten auf der Spezialschule, wenn sie am frühen Morgen ihre sieben Kilometer liefen und der Körper vor Freude sang, weil er gebraucht wurde.
    Er kaufte eine Dänemarkkarte und einen Stadtplan von Kopenhagen, den er sich abends, wenn der Fernseher mit schwacher Lautstärke im Hintergrund lief, genau einprägte. Er schloß die Augen und rief sich die bekannten Straßen ins Gedächtnis zurück. Er hatte keine Mühe, die Flächen des Stadtplans in Straßen, Häuser, Gassen, S-Bahn-Linien und Vororte zu verwandeln. Er sah Häuser und Wohnviertel vor sich. Er belebte den Rathausplatz, die Nørrebrogade, die Valby Langgade und die Fußgängerzone Strøget mit dänischen Gesichtern und versuchte, sich im Geiste die Sprache zurückzurufen. Er stellte einen Würstchenwagen an eine Straßenecke und holte eine Zeitung in einem Kiosk, dessen pakistanischer Besitzer schlechter Dänisch sprach als sein Vater. Er erinnerte sich an alles und ließ die Erinnerungen nach Belieben kommen und gehen. Es waren überwiegend gute Erinnerungen. Sein Leben hätte anders verlaufen können, wenn ihn der Vater nicht zurückgerufen hätte. Vielleicht hätte er Mathematik oder Ingenieurwesen studiert, eine feste Freundin gehabt und in einem Studentenheim gewohnt wie alle andern auch. Womöglich hätte er jetzt Frau und Kinder. Hätte ihnen von seiner alten Heimat erzählt und versucht, ihnen verständlich zu machen, warum es notwendig war zu kämpfen. Und doch. Hätte er es selbst verstanden? Wenn er nicht fortgezogen wäre, sondern in dem kleinen sicheren Land geblieben wäre, das so gemütlich und geschützt vor heftigen Wettern und heftigen, von Menschen verursachten Katastrophen und Umwälzungen dalag. Das wußte keiner. Im übrigen war es auch vergeudete Zeit, über dies Was-wäre-wenn nachzudenken. Er war als der geboren, der er war, mit der Nationalität, die er zumindest innerlich mit sich trug, auch wenn es ihm niemand ansah. Er hatte nicht im entferntesten slawische Züge, eher nordische. Er wußte nicht warum, aber die Familie seiner Mutter stammte aus Slowenien und hatte deutsche Ahnen. Vielleicht hatte er deswegen blonde, helle Haare und die blauen Augen seiner Mutter. Vom Vater steckte nicht viel in ihm. Der war dunkel und stämmig gewesen und hatte breite Schultern und Hände. Aber er fragte sich, ob er nicht die sichere Hand und die Kaltblütigkeit des Vaters geerbt hatte. Er ließ die Gedanken an die Familie nicht weiter auf sich einstürmen. Es wäre zu schmerzlich, wenn er es zuließe.
    Er fand einen Kiosk, wo es eine dänische Zeitung gab, die erst einen Tag alt war. Aber in der Zeitung ergaben nur die Auslandsmeldungen einen Sinn. Die dänischen Geschichten verstand er nicht. Aber er verstand, daß Dänemark nach wie vor ein Land war, in dem kleine Probleme groß

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