Der Fluch der bösen Tat
seinen BMW am Hafen von Vedbæk nördlich von Kopenhagen. Der Wind vom Öresund trug den Geruch von Tang und Salz herüber, die Wellen hatten kleine weiße Kronen, aber die Sonne schien noch immer, und kalt war es eigentlich nicht. Schon früher hatte sich Igor gern zu einem Plausch im Hotel Marina eingefunden. Igor interessierte sich für Fußball, und halb im Spaß, halb im Ernst hatte er einmal gesagt, daß er sich gut vorstellen könne, in diesem Hotel, in dem die dänische Nationalmannschaft wohnte, wenn sie im Trainingslager war, zu Mittag zu essen. Es war ein ausgezeichneter Ort, die Dinge, an denen sich Diplomaten und Politiker festgebissen hatten, in geschäftsmäßiger Sachlichkeit zu diskutieren.
Igor Kammarasow war Kulturattaché an der russischen Botschaft in Kopenhagen. Er hatte dieses Amt schon inne, als auf dem Schild noch »Botschaft der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken« stand, aber sein eigentlicher Arbeitgeber war der KGB gewesen. Jetzt wurde er vom Sicherheitsministerium in Moskau entlohnt. Toftlund hatte ihn zum ersten Mal beschattet, als er herauskriegen sollte, welche dänischen Agenten Kammarasow abzuwerben versuchte, und später hatte er ihn immer dann getroffen, wenn es um die Sicherheit bei wichtigen politischen Besuchen aus Moskau ging. Per kannte seinen Igor in mehr als einer Hinsicht. Der PND hatte ihn von dem Augenblick an beobachtet, als er zum ersten Mal seinen Fuß auf dänischen Boden setzte. In jüngster Zeit hatte die Überwachung ja deutlich nachgelassen, aber nach Pers Auffassung war es nur vernünftig, den Bären weiterhin an die Leine zu legen und nachzuforschen, was sich eigentlich abspielte. Igor sprach fließend dänisch und hatte jenen charakteristischen Akzent der Studenten des alten Instituts für nordische Philologie der Universität von Leningrad, dem jetzigen Sankt Petersburg. Igor hatte Per auf dem Handy angerufen und ein Treffen an ihrem alten Ort vorgeschlagen, und Per hatte natürlich zugesagt, obwohl er nicht wußte, worum es ging. Er hatte ja mit der Santanda-Sache genug zu tun, aber Igor war ein Kontakt, der gepflegt werden mußte.
Per schaute sich um. Die Boote schaukelten leicht in ihren Vertäuungen. Masten und Segelleinen klatschten sanft im Wind, aber der Hafen war verhältnismäßig leer. Er dachte einen kurzen Augenblick an Lise. Es waren angenehme Gedanken, aber er war ein Schubladenmensch, der sich auf das konzentrieren konnte, was gerade anstand, und andere Gedanken und Gefühle in ein Kämmerchen schloß, bis er Zeit hatte, sie wieder hervorzuholen und zu analysieren. Aber Lise wegzuschließen war schwierig. Mit ihr zusammenzusein war verdammt schön und verdammt angenehm. Man konnte sich richtig in sie verlieben. Eigentlich war sie gar nicht sein Typ, aber sie lachten und unterhielten sich gut miteinander. Er empfand mehr für sie als für irgendeine andere Frau seit Jahren. Die Tatsache, daß sie verheiratet war, kümmerte ihn wenig. Er hatte schon des öfteren Beziehungen zu verheirateten Frauen gehabt. Es war nicht sein Problem, daß sie verheiratet waren oder in einer festen Beziehung lebten. Offenbar reichte es ihnen nicht mehr. Die Frauen lebten in einem Land, in dem sie frei wählen konnten, dachte er und ließ dann doch die Gedanken schweifen. Wenn der Simba-Besuch überstanden wäre, könnte er ein paar von den Freischichten nehmen, die ihm zustanden, und Lise nach Spanien mitnehmen. Es gab nicht viele Frauen, mit denen er Spanien teilen mochte, aber Lise war eine von ihnen, und er wäre enttäuscht, wenn sie nein sagen würde.
Kammarasow stand am Rand der Mole. Er war ein großer schlanker Mann mit kräftigem dunklem Haar und einem schmalen Gesicht. Igor trug den dunklen Anzug der Diplomaten und einen dunkelblauen Mantel, der wegen der milden Temperaturen offenstand. Per hatte seine üblichen Sachen an: gut gebügelte Jeans, ein Hemd mit geknöpftem Kragen und Schlips und eine helle Windjacke.
Per winkte Kammarasow zu, der die Hand zum Gruß erhob. Per ging ihm entgegen, und sie reichten sich die Hand und wechselten ein paar Bemerkungen über Wind und Wetter, und Per fragte nach Igors Frau und den beiden halbwüchsigen Kindern. Es freute ihn, daß sie gesund und munter waren. Igors Frau war zur Zeit in Moskau, aber die Kinder gingen auf ein dänisches Gymnasium.
»Bald sind sie mehr dänisch als russisch, Per«, sagte er in seinem fließenden Dänisch, dessen schwacher Akzent Per an die Abhörbänder der nahen Vergangenheit
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