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Der Fluch der bösen Tat

Der Fluch der bösen Tat

Titel: Der Fluch der bösen Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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immer schon gehabt. Seine Mutter hatte erzählt, daß er mit seinem Lächeln und seinem Charme schon als kleiner Junge jedes Eis und jede Limonade erbetteln konnte, die er haben wollte, und daß er so niedlich ausgesehen hatte, daß ihm alle den Kopf streicheln und durch die hellen Locken fahren wollten. Sie hatte ihn und seine kleine Schwester sehr spät bekommen und sie beide verwöhnt. Dafür hatten sie ihre Mutter bedingungslos geliebt. Er sah sie vor sich und bemühte sich, das Bild wieder loszuwerden, indem er sich auf Ole konzentrierte.
    Ole hatte ziemlich viel von sich erzählt. Er war Psychologe, besaß aber nicht gerade das Talent, sich selbst richtig einzuschätzen. Oder war es einfach seine Art, sich anderen anzuvertrauen und offen zu sein? Vuk wußte jetzt, daß er Probleme mit seiner Frau hatte, daß die Arbeit ihn anödete, daß das Leben für sein Empfinden zu schnell an ihm vorbeiraste. Daß er eigentlich keine Freunde hatte, weil er all seine Bekannten im Grunde durch Lise kennengelernt hatte. Er sagte es nicht direkt, aber Vuk merkte deutlich, daß er eine Heidenangst davor hatte, Lise zu verlieren. Deshalb hing er auch in der Kneipe herum, obwohl das natürlich bedeutete, daß sie ihm noch mehr entglitt. Aber er konnte die leere Wohnung nicht ertragen. Wenn er allein in der Wohnung saß, sah er ständig Lise mit einem andern im Bett. Das war im Laufe der Nacht herausgekommen, nachdem sie einiges getrunken hatten. Vielleicht hatte er nur das Bedürfnis, über sich selbst zu reden, weil er den ganzen Tag gezwungen war, sich die unlösbaren Probleme anderer anzuhören. Es war eine leichte Übung gewesen, Ole zu hofieren und ihn als Agenten anzuwerben, dachte Vuk. Es war nett, mal wieder einen zu trinken. Das hatte er schon lange nicht mehr getan, und Bier und Bitter waren ihm runtergegangen wie Öl, aber er hatte einen starken Kopf und einen starken Körper und hatte sich zu keiner Zeit betrunken gefühlt, während Ole mehr und mehr lallte.
    Agenten anzuwerben war eines der Kursthemen auf der Spezialschule gewesen, das Vuk wirklich hervorragend beherrschte. Es fiel ihm leicht, die Leute zum Reden zu bringen. Er war imstande zuzuhören, ohne zuviel von sich selbst preiszugeben, aber so, daß seine Gesprächspartner glaubten, auch er würde sich ihnen anvertrauen. Er konnte seinen Charme an- und ausschalten wie eine Sonne, die hinter einer Wolke hervorkam und sich wieder dahinter versteckte. Es war einst eine natürliche Seite seines Charakters gewesen, offen und freundlich, charmant und witzig zu sein. So war er einfach. Ein ziemlich unkompliziertes, lustiges Kind, das zu einem kessen, fröhlichen und reizenden jungen Mann heranwuchs, auf den die Mädchen flogen und mit dem die Jungen befreundet sein wollten. Bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr war sein Leben ziemlich unkompliziert gewesen. Während er durch das schöne, alte Kopenhagen ging, mußte er wieder daran denken, wie sein Leben ausgesehen hätte, wenn die Familie nicht nach Bosnien zurückgekehrt wäre, weil die Mutter es so gern wollte. Der Rücken des Vaters machte die Arbeit auf der B&W-Werft nicht mehr mit, und seine Frühpension reichte in der alten Heimat ja viel länger. Die Mutter wollte gerne in der Heimaterde begraben werden. Wollte in ihren letzten Jahren mit den alten Freunden ihres Dorfes Zusammensein. Eigentlich wäre der Vater am liebsten in Dänemark geblieben, dachte Vuk, aber er folgte Lea, so wie sie ihm gefolgt war, als sie jung waren und er sie in das ferne kapitalistische Land im Norden mitnahm, das so reich war, daß es Fremdarbeiter fürs Grobe importieren mußte. Sie hatten gespart, um ein kleines Haus in Bosnien bauen zu können. Vuk hätte problemlos in Dänemark bleiben können, aber er hatte die Schule satt und hatte keine Lust mehr, noch länger aufs Gymnasium zu gehen, die Fluchtmöglichkeit nach Jugoslawien reizte ihn, obwohl das bedeutete, daß er seine Wehrpflicht ableisten mußte. Aber dagegen hatte er nichts, und der Vater unterstützte ihn. Jugoslawiens Söhne mußten dem Vaterland dienen, sonst kamen die Russen oder die Deutschen wieder. Das hatte Genosse Tito gepredigt, und was Tito sagte, war für den Vater Gesetz.
    Und dann kam der Bürgerkrieg. Und mit ihm der Schmerz, das Grauen und der Zorn.
    Vuk blieb auf dem Rathausplatz stehen und starrte auf die neue Kartenverkaufsstelle der Verkehrsbetriebe, die wie eine merkwürdige schwarze, überdimensionale Panzersperre aussah. Ihm wurde plötzlich eisig

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