Der Fluch der bösen Tat
sie dann tun? Ihre Gedanken bewegten sich im Kreis.
Lise ging in die Küche. Es duftete nach Basilikum, Knoblauch und Tomaten. Per hatte sich eine blaue Schürze umgebunden. Er hatte kleingeschnittene Salatblätter und Tomaten in einer Schüssel vermischt und ein italienisches Brot aufgeschnitten. In einem großen Topf fing das Nudelwasser an zu kochen. Er arbeitete schnell und effektiv. Er lächelte ihr zu und zeigte auf die Rioja-Flasche.
»Gleich gibt’s was zu essen«, sagte er.
Sie trat auf ihn zu, nahm ihm den Löffel aus der Hand und küßte ihn lange und innig.
»Das kann warten«, sagte sie.
»Aber es ist gleich fertig«, sagte er.
»Es dauert nur ein paar Minuten, das Wasser zum Kochen zu bringen. Mach die Töpfe aus und komm«, sagte sie.
Er sah sie an und schaltete die Ceran-Platten aus, dann fing er an, ihre Bluse aufzuknöpfen.
Hinterher setzten sie sich an den Tisch und aßen sein gutes Essen. Er hatte Shorts und ein T-Shirt an, und sie hatte sich ein Hemd von ihm geborgt. Sie fühlte sich warm und zufrieden und sah ihm an, daß es auch ihm richtig gut ging. Es war auch besser als je zuvor gewesen. Allmählich lernten sie ihre Körper und Reaktionen kennen. Er sah sie mit seinem Schlafzimmerblick an.
»Hör auf, mich so anzugucken«, sagte sie.
»Das kann ich nicht.«
Er brach ein Stück Brot ab und tupfte den letzten Rest der Pastasoße auf.
»Bleibst du heute nacht, Lise?«
Sie wußte es nicht. Draußen war es dunkel geworden. Sie saßen im Licht zweier Lampen, und sie hatte nicht die geringste Lust aufzubrechen.
»Ich geh wohl lieber nach Hause«, sagte sie.
»Warum?«
»Ich glaube, ich bin nicht in der Lage, Ole zu verlassen … noch nicht.«
Er sah sie wieder an und gab die überraschende Antwort: »Ich habe noch nie jemanden darum gebeten, aber wenn du willst, kannst du gern mit deiner Zahnbürste kommen.«
Was er da sagte, schien ihn beinahe selbst zu überraschen. Sie spürte eine Wärme in ihrer Brust, aber gleichzeitig wuchs die Verwirrung, und sie hatte das Gefühl, daß sie gleich anfangen würde zu weinen.
»Oh, Per, verdammt«, sagte sie. »So was darfst du nicht sagen.«
»Jetzt ist es raus.«
»Nimm mich wieder mit ins Bett«, sagte sie. Denn sie konnte den Gedanken nicht ertragen, nach Hause zu fahren und Ole in die Augen zu sehen und mit ihm im Wohnzimmer zu hocken, während Schweigen und Kälte zwischen ihnen zunahmen, als wollten sie ihre ureigene Berliner Mauer errichten.
14
VUK WECHSELTE DAS HOTEL, damit es nicht auffiel, daß er bar bezahlte. Er rief von seinem Vesterbro-Hotel aus an und reservierte ein Zimmer in einem entsprechenden Haus ein paar Straßen weiter. Es gab eine Menge kleiner Hotels in diesem Viertel. Er meldete sich wieder an, ohne seinen Ausweis zeigen zu müssen. Nach dem Frühstück ging er wie gewöhnlich in das Postamt in der Købmagergade. Er trug eine dunkle Sonnenbrille und schritt kräftig aus in dem kühlen Spätsommerwetter, das langsam in den Herbst überging. Er dachte daran, was er tun würde, wenn ihm jemand von früher über den Weg liefe. Müßte er ihn töten? Oder könnte er sich anders aus der Affäre ziehen? Er mußte es nehmen, wie es kam. Die Wahrscheinlichkeit, einem alten Bekannten zu begegnen, war nicht sehr groß. Er ging nicht mehr aus als unbedingt nötig, aber er mußte zugeben, daß seine alte Liebe zu Kopenhagen wieder aufblühte. Er hatte Lust zu flanieren, die Stadt zu erobern. Die Stadt hatte ihren eigenen friedlichen Rhythmus, so langsam und angenehm wie der Verkehr. Es amüsierte ihn, daß die Dänen ihren Verkehr überwältigend und chaotisch fanden, obwohl er doch im Vergleich zu anderen Großstädten ruhig und fließend war. Die Autos parkten in den dafür vorgesehenen Buchten und waren nicht wie in anderen Städten wild auf Bürgersteigen und an allen möglichen Ecken und Enden abgestellt. Vielleicht flog mehr Papier herum als früher. Die Straßen hatten Löcher, und eine eigentümliche Unveränderlichkeit lag über der Stadt, die nie in die Höhe zu wachsen schien, aber sie war trotzdem sauber und gut gepflegt, und das alte Nørrebro-Viertel wimmelte von neuen Cafés und Restaurants. Andere Großstädte hatten sich mit großer Hast verändert, aber Kopenhagen wirkte noch immer provinziell und klein, als wäre es gar keine richtige Großstadt. In der Zeitung las er von Mord und Totschlag, aber er sah auch die Statistik. Kopenhagen hatte vierzehn bis fünfzehn Mordopfer jährlich. So viele kamen in
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