Der Fluch der Druidin
überlegen!«
Fasziniert beobachtete der Krüppel, wie Rascils Augen beinahe liebkosend über das Beil in Boiorix’ Händen strichen, weiter über die an einer Truhe lehnenden Teile seiner Rüstung bis nach draußen in den Sonnenschein, wo das gesamte Lager sein Tagwerk begonnen hatte. Gleichzeitig glitt ihre Zungenspitze über ihre Unterlippe, als würde sie einen Geschmack suchen, der sich dort verfangen haben mochte.
Vielleicht verwandelt sie sich bei Vollmond in eine Schlange,
dachte der Krüppel.
Vielleicht weiß sie deshalb so viel – weil sie in alle Ecken züngelt.
»Der Mohnsaft, wie der Händler sagte. Endlich. Ich wusste, es war nicht umsonst. Vielleicht noch ein paar Pilze, der Mond steht günstig …« Rascils Murmeln war so unverständlich, dass der Krüppel widerwillig näher treten musste, um sie zu verstehen.
Boiorix’ Geduldfaden war kürzer als der des Krüppels. »Was, Priesterin? Hört auf, Euer geheimes Wissen vor Euch hin zu brabbeln und nennt uns Euren Vorschlag einfach!«
»Wie gesagt, der Mond steht günstig. Kräuter, Mohn und Zauber, ein Trank …«
»Rascil!«
»Verzeiht, mein König. Was ich sagen will, ist: Wir könnten Sumelis betäuben. Sie berauschen, mit Tränken und Zaubersprüchen kontrollieren. Das Mädchen wäre keine Gefahr mehr für Euch, aber sie wäre dennoch hier, um Euch bei Bedarf zu dienen.«
»Wenn sie betäubt ist, wie soll sie mir dann helfen?«
»Oh, Sumelis wäre nicht so sehr betäubt, es würde aber genügen, um ihren Widerstand zu brechen. Sobald Ihr sie braucht, wäre sie … nutzbar. Das wolltet Ihr doch, nicht wahr, mein König? Ihre Gabe besitzen. Sie wird tun, was man ihr sagt, oder sie wird dafür büßen. Sie wird weder die Kraft noch den Willen haben, sich zu wehren. Wahrscheinlich wird ihr nicht einmal völlig klar sein, was sie tut und dass sie eine Gefangene ist. Die meiste Zeit wird sie vor sich hindämmern. Bis Ihr sie zu Euch ruft.«
»Das vermögt Ihr?«
»Natürlich.«
»Seid Ihr vollkommen übergeschnappt?«, keuchte der Krüppel entsetzt. »Wisst Ihr, was Ihr da vorschlagt? Welche Mächte Ihr herausfordert? Sumelis hat eine Gabe, die nur von den Göttern kommen kann! Es ist eine Kraft der Anderen Welt, Seelenmagie, wie sie nur die mächtigsten Druiden verstehen können!« Drängend trat er auf Boiorix zu. »Ich bitte Euch, überlegt es Euch! Wagt es nicht! Wer weiß, was mit uns allen passieren wird? Diese Kraft ist zu gewaltig, zu heilig – sogar für einen König. Fordert sie nicht heraus!«
»Ihr seid ein abergläubischer Feigling, Krüppel!« In Boiorix’ Augen blitzte es gefährlich. »Sumelis ist keine Göttin. Rascil hat recht, wir müssen sie beherrschen. Donar selbst hat mich zum König bestimmt, und damit gehört alles, alle Fähigkeiten, jedes Schwert in diesem Zug, mir! Genauso wie im Übrigen Euer Kopf, Geisel!«
Der Krüppel fuhr zurück. Ihm war klar, diesmal meinte Boiorix seine Drohung ernst. Die Geduld des Kimbernkönigs hing wieder einmal an einem dünnen Faden. Boiorix wollte Genugtuung für das, was er in der Nacht durchgestanden hatte. Und der Krüppel war derjenige gewesen, der ihm einst geraten hatte, nach einer keltischen Zauberin zu schicken.
Wenn Boiorix letzte Nacht gestorben wäre, wäre ich jetzt ebenfalls tot.
Ob er in der Anderen Welt wohl auch verkrüppelt sein würde? Oder war seine Seele vollständig, und es war nur in dieser Welt, in der sein Körper die Last der Verunstaltung zu tragen hatte?
Boiorix und ich haben etwas gemein: Auf uns beiden liegt ein Fluch. Aber für mich wird es keine Zauberin geben, die mich heilen kann. Keine Frau, die bereit wäre, für mein Heil etwas zu riskieren, schon gar nicht ihre Seele.
»Es wird ein, zwei Tage dauern, bis der Trank bereit ist«, sagte Rascil, ohne ihre Befriedigung zu verhehlen. Sie ging so dicht an dem Krüppel vorbei, dass dieser rückwärts ausweichen musste und prompt über Boiorix’ Beinschienen stolperte. Die Riemen verhedderten sich zwischen seinen Knöcheln, rissen ihn mit zu Boden. Ein Schmerzenslaut drang über seine Lippen, bevor er sie zusammenpressen konnte.
Diesmal brach Rascils Schadenfreude in einem unverhohlenen Lachen aus ihr heraus. »Zwei Tage, dann wird Sumelis vollends Euch gehören, mein König.«
Nando und Sumelis packten ihre Sachen zusammen und zäumten die Pferde. Obwohl vollkommen übermüdet, war Sumelis zu glücklich, als dass irgendetwas das strahlende Lächeln von ihren Zügen hätte wischen können.
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