Der Fluch der Druidin
interessieren? Oder für Caran?« Boiorix klang noch immer gedankenverloren. Sein versöhnlicher Tonfall stimmte den Krüppel misstrauisch.
»Dann findet Ihr das nicht wichtig?«
»Wichtig? Nein, nicht wirklich. Nur … interessant.«
Ein Schweigen machte sich breit, das nur gestört wurde von den emsigen Aktivitäten der Pferde und Krieger um sie herum und dem leisen Streichen, mit dem Boiorix über seinen Bart fuhr.
»Darf ich gehen, Herr?«, fragte der Krüppel vorsichtig.
Die kalten Augen richteten sich wieder auf ihn. »Gehen? O ja. Wartet!« Boiorix pfiff einen Krieger herbei und wechselte ein paar Worte mit ihm. Der Mann verschwand. Es dauerte nicht lange, bis er mit einem zerzausten Pony zurückkehrte, ein altes Tier, so hässlich, dass es einen bei seinem Anblick beinahe schauderte. Boiorix gab einen weiteren Befehl, der Krieger bückte sich und hob den verblüfften Krüppel ohne langes Federlesen auf den Rücken des Ponys.
Viriotali schrie auf. »Was soll das, Herr?«
»Ich töte Euch nicht. Ich weiß etwas Besseres.« Boiorix bleckte die Zähne. »So wie Ihr jetzt seid, verlasst Ihr dieses Lager! Sofort. Ihr werdet mir nicht mehr unter die Augen kommen, mit niemandem hier mehr sprechen! Die Zeit, in der Ihr von Nutzen wart, ist vorbei.«
»Ich soll das Lager verlassen?«
»Ja.«
»Jetzt gleich? Ohne –«
»Jetzt gleich. Allein. Haut ab zu Eurem eigenen Volk, wenn Ihr es vermögt!«
»Über die Berge? Aber wie soll ich das machen?«
»Ein Mann schafft diese Reise allein. Seht es als eine Möglichkeit, Euch als solcher zu beweisen, Zwerg!«
»Ich habe nicht einmal Waffen! Keinen Umhang, kein Geld, nichts bei mir!«
»Das ist Euer Problem.«
»Gebt mir ein paar Männer als Begleitschutz, Boiorix!«, flehte Viriotali. »Wollt Ihr, dass ich sterbe?«
Boiorix hob vielsagend die Augenbrauen. Fassungslos starrte der Krüppel ihn an, dann an seinem eigenen, in leichte Tuche gekleideten schmerzenden Körper hinab, an dessen Gürtel einzig eine mittlerweile leere Messerscheide steckte. Alles andere war auf dem Wagen gewesen, mit dem er Sumelis aus dem Lager hatte bringen wollen, oder war ihm von Boiorix’ Leibgarde abgenommen worden.
»Die Männer, die Euch heute hätten begleiten sollen, sind tot, Krüppel. Wollt Ihr Euren Diener vielleicht noch einmal sehen?« Boiorix deutete lässig über seine Schulter bis zu einer Eiche, deren Wipfel sich einsam über Menschen, Tiere und Wagen erhob. »Es war gar nicht so leicht, einen passenden Ast in diesem Lager für ihn zu finden. Bis Rascil sich darum gekümmert hat. Ein geweihter Baum. Ein Opfer für unseren bevorstehenden Kampf. Passend, findet Ihr nicht?«
Der Krüppel schlug, gegen aufsteigenden Brechreiz ankämpfend, einen Ärmel vor den Mund. Der Krieger, der ihn aufs Pferd gesetzt hatte, bemerkte es und spuckte verächtlich aus, bevor er vorsichtshalber einen Schritt zurücktrat.
»Die Tiguriner stehen noch immer am Fuß der Berge, wo sie auf die Kunde unseres Siegs warten«, fuhr Boiorix fort. »Natürlich haben sie verräterisches Blut in den Adern – eine helvetische Krankheit offenbar –, was Euch selbstverständlich nicht zu kümmern braucht. Es sei denn, sie meinen, keine Loyalität Euch gegenüber empfinden zu müssen. Falls Ihr es überhaupt bis dorthin schafft, Krüppel.«
Boiorix beugte sich zu ihm. »Damit wir uns verstehen: Solltet Ihr heute Abend den letzten räudigen Hund dieses Zugs nicht hinter Euch gelassen haben, lasse ich Euch töten.«
»Boiorix, seht mich an!«, schrie Viriotali auf. »Habt Erbarmen!«
»Das habe ich doch. Oder weshalb sonst, meint Ihr, zeige ich mich so nachsichtig? Jeden echten Mann hätte ich eigenhändig getötet!« Boiorix gab dem Krieger einen Wink. »Schaff ihn mir aus den Augen! Und sieh zu, dass er das Lager nur mit dem verlässt, was er am Leib trägt!«
Boiorix wartete, bis ein sehr blasser Krüppel, der wie betrunken auf dem Rücken des Ponys hin und her schwankte, mit dem Krieger verschwunden war. Dann machte er kehrt und eilte zwischen den Männern seiner Leibgarde hindurch, die auf ihn wartenden Boten und Kriegsführer völlig ignorierend.
Die Gespanne der Priesterinnen standen nicht allzu weit entfernt, in gebührendem Abstand zu der Eiche, an deren kräftigsten Ast die nach Urin stinkende Leiche von Viriotalis Diener baumelte. Rascil war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich weidete sie sich gerade am Anblick des Krüppels, wie er mittellos auf seinem mageren Gaul aus dem Lager
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