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Der Fluch der Druidin

Der Fluch der Druidin

Titel: Der Fluch der Druidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Jaeckel
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Selbst in deren verquollenen Augen meinte der Krüppel noch Verachtung zu sehen.
    Er hatte in einem Wäldchen auf einem Bett aus Zweigen und Blättern genächtigt, hungrig zwar, aber doch sicher. Am nächsten Morgen hatte er einen Einheimischen auf einem Karren getroffen. Der alte Bauer war anfangs misstrauisch gewesen und hatte schon von weitem mit seiner stumpfen Axt gedroht, beim Anblick von Viriotalis zwergenhafter, alles andere als furchteinflößender Gestalt hatte er sein Werkzeug jedoch bald sinken lassen. Mit Händen und Füßen hatte der Krüppel dem Mann zu verstehen gegeben, er sei von den Kimbern geflohen, und obgleich er nicht annahm, dass der Alte ihn tatsächlich verstand, gab dieser ihm eine Birne und lud ihn gestikulierend ein, ihn nach Mediolanum zu begleiten.
    Mediolanum war der Hauptort der Insubrer, jenes keltischen Stammes, der vor ungefähr hundert Jahren von den Römern besiegt worden war und danach einen Vertrag mit Rom geschlossen hatte. Die Stadt lag günstig in der Ebene zwischen den Seen am Rande der Berge, dem Padus im Süden und mehreren Flüssen, die einen regen Schiffsverkehr ermöglichten. Der Krüppel erinnerte sich daran, dass er einmal an Verhandlungen zwischen Boiorix und den Herrschern der Stadt teilgenommen hatte – Männer, deren ganzes Auftreten hundertmal mehr an das eines römischen Senators erinnerte als an das einfache Gebaren der ländlichen Bevölkerung, die die römischen Sitten nicht übernahm und an ihren eigenen weitgehend keltischen Traditionen festhielt. Gewaltige Wagenladungen an Getreide waren danach aus den Toren der Stadt und aus dem Umland zu den Kimbern geflossen in der Hoffnung, die Abgaben würden die Kimbern vom Plündern abhalten. Offenbar waren die Insubrer nun jedoch der Meinung, dass die Kimbern nicht nach Mediolanum zurückkehren würden. Jedenfalls begegneten ihnen, je näher sie der Stadt kamen, immer wieder Leute, sogar Kinder, die von einzelnstehenden Höfen oder kleinen Siedlungen zur Straße kamen, wenn auch noch vorsichtig und misstrauisch nach den langen Monaten der ständigen Bedrohung durch die Kimbern. Die Kimbern mochten nur zwei Tagesritte entfernt lagern, aber das hoffnungsvolle Aufatmen, das mit der Ankunft der römischen Truppen diesseits des Padus’ durch das Land gezogen war, war selbst für Viriotali spürbar. Und genau wie die Menschen hier die Zähne zusammenbissen, bereit, die Erinnerungen an die Kimbern hinter sich zu lassen, tat es der Krüppel ihnen gleich und schwor, er würde es schaffen. Boiorix mochte der Meinung sein, ein halber Mann wie er könne unmöglich alleine die Berge überqueren, aber Viriotali würde es ihm zeigen. Was zählten schon seine Angst und Ungenügsamkeit? So die Götter wollten, würde Viriotali es zu seinem Volk schaffen. Und von dort würde er einen Boten nach Alte-Stadt zu Caran schicken mit der Nachricht, wohin seine Enkelin verschleppt worden war.
    Obwohl es bis dahin wohl schon zu spät sein würde.
    Von Scham überwältigt, krümmte sich der Krüppel, der mittlerweile hinten auf dem Karren des Bauern zwischen Bündeln aus frisch geschnittenen Ruten saß, zusammen. Das Stechen in seinen Rippen nahm er beinahe dankbar als verdiente Strafe für sein feiges Versagen hin.
    Er hatte Sumelis verraten.
    »Aber was hätte ich denn sonst tun können, was hätte ich denn sonst tun können?«, flüsterte er immer wieder vor sich hin, bis endlich, umgeben von Weiden, Feldern, kleinen Gehöften mit Wein- und Obstgärten, Mediolanum am Horizont auftauchte.
    Der Bauer fuhr nicht bis zur Stadt, sondern bog vorher nach Norden ab. Daher verabschiedete sich der Krüppel unter großen Dankesbekundungen, kletterte umständlich zurück auf seine Mähre und ritt, mit nichts am Leib außer seinen Kleidern, weiter auf Mediolanum zu.
    Am Stadttor wiesen ihn die Wachen harsch ab.
     
    Talia und Atharic hatten in Comum Pferde gewechselt und einen Führer angeheuert: einen römischen Veteranen, der eine Comenserin geheiratet hatte und in Comum im Dienste eines reichen Stadtfürsten stand. Während er sie nach Süden begleitete, hatte der ehemalige Soldat für die beiden Fremden aus dem Norden ein detailliertes Bild der nördlichen Padus-Ebene gezeichnet, vor allem aber hatte er ihnen erzählt, was sie über den Zug der Kimbern und die römischen Truppen wissen mussten. Er hatte ihnen von Gaius Marius berichtet, von dessen militärischen Erfolgen, von Catulus, dem zweiten Feldherrn, der im letzten Jahr die Pässe nicht

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