Der Fluch der Druidin
damals bei Noreia abgeschlagen habe!«
Atharic verzog den Mund. »Vielleicht bringe ich Euch noch ein paar mit.«
Im Stall, der bis auf zwei Kühe und eine Handvoll Ferkel leer war, warteten Talia und der Krüppel bereits ungeduldig auf Atharic und das Essen. Der Krüppel machte sich ausgehungert über die Mahlzeit her, während Atharic in knappen Worten die Neuigkeit ihres Führers weitergab.
»Sie haben Sumelis betäubt!«, schoss es aus Talia heraus, sobald er geendet hatte. Das vermeintliche Klagen der Kimbern über die gefangenen teutonischen Könige interessierte sie nicht. Stattdessen deutete sie auf den Krüppel, der sich eine weitere Handvoll Bohnen in den Mund schob. »Viriotali sagt, sie würden ihr ein Zaubergebräu zu trinken geben. Sie kann laufen und sprechen, aber ansonsten gehe es ihr nicht gut. Er meint, es sei auch nicht so sehr ihr Körper, der leidet, sondern ihre Seele.«
»Der Schrei, den du in Comum gehört hast?«
»Ja, das macht Sinn. Aber was ich gespürt habe, war echter Kummer, das war nicht irgendein Trank, der Sumelis verwirrt. Es war …« Talia stockte ratlos. Ihre Augen richteten sich erneut auf den Krüppel. Wie so viele Menschen vor ihm konnte auch Viriotali den Blick dieser leuchtend bernsteinfarbenen Augen nicht lange halten und sah unbehaglich zur Seite.
»Was war es?«, drängte Talia ihn. »Sagt es mir!«
Und so begann der Krüppel zu erzählen, stockend zunächst, später flüssiger. Er berichtete über den Fluch der tigurinischen Hexe, über die Alpträume des Königs, sein eigenes Geschick, das ihn einst als Geisel nach Alte-Stadt gebracht hatte, wo er Talia und Sumelis das erste Mal sah. Ausführlich gab er den Grund wieder, weshalb Boiorix Sumelis hatte entführen lassen. Danach schilderte er, wie Sumelis dem König geholfen hatte, gegen die Dämonen seiner Alpträume anzutreten, und dabei fast seinen Tod verursacht hatte. Er erzählte von Rascil, die Sumelis hasste, vor allem jedoch von seinem eigenen Versuch, Sumelis zu retten. Weder Talia noch Atharic zeigten sich von Letzterem beeindruckt. Sie lauschten mit ausdruckslosen, immer härter werdenden Gesichtern, und der Krüppel bekam es mit der Angst zu tun, was mit ihm geschehen würde, sobald sie von seinem eigenen Verrat an ihrer Tochter erfuhren. Doch Atharic und Talia bemerkten sofort, als er versuchte, die Geschichte abzukürzen, und so kam nach und nach alles heraus, was geschehen war, bis auf eines.
»Sumelis’ Kummer«, fasste Talia schließlich gereizt nach. »Ich habe ihr Leid gespürt. Vor wenigen Nächten erst suchte es mich im Traum heim. Es war ein Feuersturm! Dieser Kummer, sein Ausmaß, war etwas, was sich nicht allein aus Eurer Geschichte erklären lässt, Viriotali. Was ist es?«
Der Krüppel wünschte sich, sie würde ihn nicht so anstarren. Diese Augen – zwei goldene Feuer, die sich in seine Seele brannten, kein Erbarmen kannten. Sumelis’ Augen waren immer voller Sanftheit gewesen. Dann erinnerte er sich daran, wie diese Frau vor ihm Dago mit einer einzigen Berührung ihrer Hand getötet und dessen ganzes Heer in die Flucht geschlagen hatte. Wie sehr sie danach selbst von ihrem eigenen Volk gefürchtet worden war! Eine Hexe, die mit einem Fingerzucken eine Seele aus ihrem Körper reißen konnte. Es schien unvorstellbar, dass Sumelis etwas Ähnliches tat, selbst wenn ihre Macht der ihrer Mutter vergleichbar sein mochte. Nein, Talia war ganz anders als Sumelis, obwohl der weiche Schwung ihrer Lippen, die scharf gezeichneten Wangenknochen, das wellige Haar und die helle Haut dieselben waren. Viriotali kannte Geschichten über Löwen, gewaltige Katzen mit bernsteinfarbenen Augen, die umso gefährlicher waren, wenn sie ihre Brut verteidigten. Talia, so wurde Viriotali klar, war eine solche Löwin. Und sie war zornig.
»Der Mann, der Sumelis auf Boiorix’ Geheiß hin entführt hat«, sprudelte es aus ihm heraus. »Er ist es, der Eurer Tochter diesen Kummer bereitet. Er hat Sumelis verführt! Sie, sie hat nicht gesehen, wie gefährlich er ist! Sie war blind seinem Wesen gegenüber. Dieser Mann ist Boiorix’ engster Vertrauter. Er ist wie ein Sohn für ihn!«
»Hat er Sumelis Gewalt angetan?«
Der Krüppel verschluckte sich an seiner Antwort und hustete. Fast hätte er genickt, dann riss er sich zusammen. Er mochte ein Versager sein, aber er würde nicht noch mehr Schande über sich bringen, indem er log.
»Nein«, flüsterte er tonlos, »das hat er nicht. Nicht wirklich. Sumelis liebt
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