Der Fluch der Druidin
schon seit Tagen unbarmherzig niederbrennende Sonne über die Augen gelegt, stolperte Sumelis hinter Rascil her. Die Priesterin zerrte die jüngere Frau durch die Lücken des äußersten Ringes der Wagenburg ins Freie, hin zu einem Wäldchen, an dessen Rand in lockeren Abständen Krieger Wache standen. Der Boden unter Sumelis’ Schritten war staubtrocken, ebenso ihr Mund. Wenn ihre Erinnerung sie nicht trog, hatte sie vor zwei Tagen das letzte Mal Rascils betäubendes Gebräu zu trinken bekommen, trotzdem hatte ihr Körper die Nachwirkungen noch nicht völlig abschütteln können. Immerhin waren ihre Gedanken mittlerweile wieder nahezu klar, obwohl ihre Gabe noch nicht zu ihr zurückgekehrt war, sich ihrem Zugriff wie ein widerspenstiges Kind entzog. Das bedeutete nicht, dass sie ganz verlorengegangen wäre, im Gegenteil: Sumelis begann wieder, die Seelen in ihrer Umgebung als klar definierte Wesenheiten wahrzunehmen. Doch die Farben verschwammen noch viel zu oft zu wabernden, nebelverdünnten Auren. Sumelis’ Konzentration reichte nicht aus, ihnen mehr Form und Leuchtkraft zu verleihen, geschweige denn, sie zu fassen. Als ob sie betrunken wäre, sich der Rausch jedoch nur auf ihre Gabe und ihren Willen erstreckte, den Rest des Geists dagegen unbehelligt ließ.
Obwohl die Luft zwischen den Bäumen nicht nennenswert kühler schien als in der prallen Sonne, gönnten die Schatten Sumelis’ pochenden Augen etwas Erholung. Rascil hatte ihr Handgelenk losgelassen und setzte ihre Füße nun vorsichtig ein paar Schritte vor Sumelis auf den trockenen Waldboden. Rascil lief, wie so oft, barfuß, dennoch waren Zehen und Nägel sauber, gepflegt und fast faltenlos. Sumelis hätte gerne erfahren, auf welche Weise die Priesterin die jugendliche Haut ihrer Füße bewahrte, aber wahrscheinlich war es irgendeine Kräuterpaste, und Sumelis hatte genug von Rascils Zaubergemischen. – Nicht, dass diese ihr jemals die Geheimnisse ihrer Künste verraten hätte.
Das Wäldchen, dessen unnatürliche Stille ebenfalls von der kaum erträglichen, seit Tagen andauernden Hitze kündete, machte Büschen und Gräsern Platz. Hier zerschnitten Sonnenstrahlen die milden Schatten des Blattwerks. Deren unbarmherziges Sengen war jedoch nicht der einzige Grund für den Schweißfilm auf der Haut des Mannes, welcher zusammengesunken vor Boiorix kniete und leise weinte. Rascil nickte ihrem König grüßend zu, dann trat sie beiseite, damit sein Blick auf Sumelis fallen konnte. Außer ihnen vier befand sich niemand sonst auf der Lichtung.
»Komm her!« Boiorix winkte Sumelis ungeduldig herbei.
Der Mann vor ihm ließ den Kopf hängen. Grind bedeckte sein Ohrläppchen, an dem wohl ein Ohrring befestigt gewesen war, die Kleider waren zerrissen. Seine Hände waren hinter dem Rücken mit einem Lederriemen gebunden. Die Fesseln saßen so eng, dass sie ihm Schmerzen bereiten mussten.
Sumelis, die glaubte, den Jungen schon einmal gesehen zu haben, hätte sich Boiorix’ Befehl gerne widersetzt, doch Widerstand hätte den Kimbernkönig nur noch mehr gereizt, davon abgesehen fühlte Sumelis in sich nicht die Kraft für eine Auseinandersetzung.
»Wer ist das?«
»Du erinnerst dich an ihn?«
»Ja. Ich habe ihn ein paar Mal unter Euren Gefolgsleuten gesehen, Herr. Ich dachte, er gehöre zu Euch. Ein Verbündeter.«
Boiorix schien zufrieden mit ihrer Antwort, wenngleich er offenbar nicht vorhatte, ihr mehr über seine Beziehung zu dem Gefangenen zu verraten. »Das war er«, erwiderte er brüsk, »ein Verbündeter. Aber jetzt hat er mich an die Römer verraten. Er hat für sie spioniert.«
»Das ist nicht wahr!« Der Mann bäumte sich im Knien auf, verlor prompt das Gleichgewicht und stürzte zur Seite. Noch im Liegen schüttelte er heftig den Kopf. »Das stimmt nicht, Herr! Ich habe ihnen gar nichts gesagt! Ich habe lediglich –«
Boiorix schlug ihm die flache Schwertseite vor den Mund, und der Mann verstummte. Blut begann, aus seiner Nase zu tropfen. Zweifellos hatten sie dieses Gespräch schon früher geführt. Doch erst bei des Königs nächsten Worten begann Sumelis zu ahnen, weshalb sie hier waren.
»Ich will wissen, was er den Römern alles verraten hat. Ob er ihnen gesagt hat, dass wir von der Vernichtung der Teutonen schon vorher wussten. Ob er verraten hat, wer meine Feinde unter den Fürsten meines Volkes sind. Dass nicht alle dafür stimmten, den Padus zu überqueren und Italien zu unterwerfen. Ob es Absprachen zwischen meinen Feinden unter den
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