Der Fluch der Druidin
zeigte. Ein Kamm. Ein ganz gewöhnliches Objekt, dem sie früher niemals eine tiefere Bedeutung beigemessen hätte. Bis jetzt.
»Ich dachte, das würde dir vielleicht Freude bereiten.«
Krampfhaft versuchte Sumelis, den letzten Rest Zorn in sich zu bewahren, die Verzweiflung, als sie Nandos Messer an ihrem Haar gespürt hatte und dieses wie herbstliches Laub zu Boden gefallen war. Doch Sumelis war nicht wie ihre Mutter. Ihr Drang, zu vergeben, war zu groß. Am Ende konnte sie nicht anders und lachte wie ein Kind laut auf, während ihre Fingerspitzen über die stumpfen Zacken und den geschwungenen Hals des Pferdchens strichen und so den Augenblick hinauszögerten, da sie ihren Kopf zurückwerfen, das Band in ihrem Haar lösen und den Kamm durch ihre dunklen Locken ziehen würde – im Wissen, dass Nando ihr dabei zuschauen würde.
Sie überquerten den Pass bei strahlendem Sonnenschein und azurblauem Himmel, beinahe unbemerkt, obwohl Sumelis nach allerlei Vorzeichen Ausschau hielt und meinte, etwas Großes, Bedeutungsvolles müsste geschehen. Doch dem war nicht so. Die Sonne prallte auf ihren Scheitel hinab, bis Sumelis sich ein Tuch um den Kopf schlang. Vögel zwitscherten, ein paar Insekten umsurrten sie, und das Schmatzen, mit dem sich Hufe und Füße vom matschigen Boden lösten, wurde immer leiser. In kleinen Bächen rann schmelzender Schnee über Felsen und Wurzeln, der Wind, der ihnen ins Gesicht wehte, war überraschend warm. Auf der anderen Seite, wo die Straße begann, sich zwischen den Berghängen abwärtszuneigen, passierten sie eine Straßensperre und erreichten schon am Nachmittag ein umwehrtes Gehöft, das bis vor einem Jahr noch als Zollstation gedient hatte, jetzt jedoch die Anführer der tigurinischen Einheit, die den Pass bewachte, beherbergte. Hier schlugen sie ihr Lager auf.
Nando war den ganzen Tag über in Sumelis’ Nähe geblieben, wofür sie dankbar war, denn ihr hatten die Blicke und anzüglichen Scherze der Krieger, die sie begleiteten, überhaupt nicht gefallen.
»Es gibt ein paar Huren, die den Tross der Tiguriner begleitet haben und den Winter über geblieben sind«, erzählte Nando, nachdem er einen der Krieger daran gehindert hatte, Sumelis zu einem Busch zu folgen, wo sie sich erleichtern wollte. »Aber es sind nicht genug, und von den Einheimischen haben die meisten ihre Höfe aufgegeben und sind geflohen, sobald die Kimbern nahe genug waren, um Kleider von Hosen unterscheiden zu können. Viele dieser Männer hatten seit Monaten keine Frau mehr.«
»Muss ich jetzt Mitleid haben?«
»Mitleid und Krieg gehen selten zusammen.«
»Das ist eine Frage der inneren Größe eines Menschen!«
Nandos Augen verengten sich leicht, doch er widersprach nicht.
Sumelis gestikulierte in Richtung Tal, durch das sie gezogen waren. »Wen wundert es denn, dass alle einheimischen Familien geflohen sind? Wie viele Frauen und Mädchen haben die Kimbern und ihre Verbündeten auf dem Weg hierher vergewaltigt?«
Nando zuckte mit den Achseln. »Viele, würde ich vermuten.«
»Und du?«
»Eine mutige Frage. Glaubst du, du willst die Antwort wirklich wissen? Wir werden immerhin noch die eine oder andere Nacht miteinander verbringen, bevor wir das Heer erreichen.« Nando hatte das Gesicht der Sonne zugewandt und fühlte nach den nasskalten letzten Tagen der Wärme ihrer Strahlen auf seinen gesenkten Lidern nach. Fast hätte er auf Sumelis’ Frage direkt geantwortet, aber dann hatte er sich noch rechtzeitig zurückgehalten. Sollte sie doch sehen, was sie davon hatte, ständig erkunden zu wollen, was für ein Mann er war!
Sie überraschte ihn jedoch abermals, indem sie spitz erwiderte: »Offensichtlich gehe ich davon aus, dass ich nicht deinem Geschmack entspreche!«
»Wer sagt denn, dass ich überhaupt einen Geschmack habe?«
»Versuchst du gerade, mich aufzuziehen?«
Das Erstaunliche war, dass er sie tatsächlich necken wollte, dabei kam es selten vor, dass er Scherze machte. Wahrscheinlich hatte er irgendwann einmal beschlossen, dass Scherze Zeitverschwendung waren. Aber irgendetwas an Sumelis weckte vergrabene Erinnerungen an seine Kindheit, an alte Verhaltensweisen, die er lange hinter sich gelassen hatte. Manchmal war sie ihm damit lästig, manchmal rief sie eine vage Neugierde in ihm hervor, welche Möglichkeiten des Lebens er vergessen hatte.
Wieso lasse ich mich überhaupt darauf ein? Ich habe Besseres zu tun!
Sumelis bohrte nicht weiter. Trotzdem konnte er sehen, dass seine Antworten
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