Der Fluch der Druidin
sie beschäftigten, auch wenn sie versuchte, gleichgültig zu wirken. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet, und sie knabberte an ihrem Daumennagel.
»Es gibt immer wieder Leute, die versuchen, Wölfe zu zähmen«, sagte Nando. »Sie suchen nach dem Hündischen in ihnen, nach dem, was sie irrtümlich für das Gute in ihnen halten, und übersehen dabei ihr wahres Naturell, das sie zu dem macht, was sie sind. Was sie lebensfähig macht.« Plötzlich hatte er das Bedürfnis, ihr etwas beizubringen, und sei es nur eine Warnung.
Sumelis warf ihm einen Blick zu, als wäre ihm plötzlich ein dritter Arm aus der Schulter gewachsen. Dann sagte sie leise: »Du bist ein Dummkopf, Nando.«
Er hatte Menschen für weniger getötet. Mehr über sich verärgert als über Sumelis, überließ er sie sich selbst und hielt Ausschau nach einem Übungspartner für den Nachmittag. Wenig später krachten hölzerne Übungsschwerter außerhalb der Umwehrung des Zollgebäudes aufeinander; ein junger Tiguriner hatte Nandos Herausforderung angenommen. Sumelis ließ sich auf einer Wiese am Hang nieder, um die beiden Männer bei ihren Übungen zu beobachten.
Nando hatte recht: Sumelis dachte tatsächlich über ihn nach. Sie glaubte, ihn mittlerweile gut genug zu kennen, um zu wissen, dass er kein Mann war, der sich an der eigenen Brutalität berauschte, geschweige denn am Leiden der Opfer. Dennoch befürchtete sie, mit ihrem letzten Kommentar womöglich einen Schritt zu weit gegangen zu sein. Es war nicht klug, Nando zu reizen, selbst wenn ihr Miteinander kameradschaftlicher geworden war und Sumelis am letzten Abend, als sie am Herdfeuer in der Hütte gesessen hatten, die Anwesenheit einer Seele – und damit meinte sie nicht die der alten Frau, der die Hütte gehörte – gespürt hatte. Es war wie eine Wolkendecke gewesen, die an einer Stelle aufriss und einen Sonnenstrahl hindurchließ, in dem Staubkörner tanzten.
Du bist der Dummkopf, nicht er!
Dennoch konnte sie den Blick nicht abwenden. Nando hatte sein Hemd ausgezogen und trieb seinen Übungspartner mit gewaltigen Schlägen vor sich her. Sogar auf die Entfernung hin konnte Sumelis eine Reihe von Narben auf seinem Rücken erkennen – jene in der Schulter, die sie ausgebrannt hatte, noch hell und rosig. Nandos Körper war vom Scheitel bis zu den Sohlen der eines Kriegers: muskulös, ohne schwerfällig zu sein, mit geschmeidigen Muskeln und ausgeprägten Sehnen an den Unterarmen, die sich bronzefarben gegen die hellere Brust abhoben. Seine Füße, obwohl barfuß, bewegten sich doppelt so schnell wie die seines Gegners, der seinen Schild gehoben hatte und damit beschäftigt war, Nandos wuchtige Hiebe einfach nur zu blocken. Ständig fiel er dabei auf Nandos Finten herein, und wann immer dies geschah, ertönte ein schmerzerfülltes Grunzen.
Nach einer Weile bemerkte Sumelis, dass sie nicht die Einzige war, die die Kämpfenden beobachtete. Eine Frau – nein, es war wohl doch eher noch ein Mädchen – war auf der hölzernen Umwehrung der Zollstation erschienen und an die mit spitzen Pfählen versehene Brüstung getreten. Sie trug ein blaues Gewand, das zu groß schien für ihre schmale Gestalt, und einen Halsreif, an dem ein Anhänger baumelte, den Talia nicht genau erkennen konnte. Der Wind, der das Tal entlangstrich, fuhr in ihre roten Haare und bauschte sie wie ein Schleier im Nacken, eine warnende Fackel vor dem schattigen Hintergrund der Berge. Das Mädchen beobachtete Nando und den Tiguriner einige Herzschläge lang, dann wandte es langsam den Kopf, um zu Sumelis hinüberzublicken, die zwischen blauen und weißen Blumen und rosafarbenem Klee im Gras saß und ihrerseits die Augen nicht von der Gestalt auf dem Turm abwenden konnte. Ihre Blicke kreuzten sich.
Eine Seele, so brennend wie das Blau im Innern einer heißen Flamme. Die Berührung eines samtenen Bandes, das sich willkommen heißend um sie legte. Der Kuss des Schicksals an einem scheinbar gewöhnlichen Sommertag.
Dann … Bilder: wirbelnde Schwingen aus weißen Federn. Ein Feuer, das einen Vogel gebar. Ein Mann, taumelnd in einem Wald, der seinen eigenen Namen brüllte und nur Schulterzucken und höhnisches Gelächter erntete. Eine Ebene, über die sich der Staub senkte, Leichen bis zum Horizont. Eine Stadt aus Stein – Was war das? Konnten Menschen so etwas tatsächlich erschaffen? –, auf deren Straßen und Plätzen Jubel ertönte, von römischen Buchstaben ewig bewahrter Triumph. Und am Ende, ein Nicken: die
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