Der Fluch der Finca
alles erzählte?
In den nächsten zwei Stunden erzählte sie Keith wirklich alles. Angefangen von dem
Tag, an dem sie Harrys Geist in ihrer Straße gesehen hatte, bis zum gestrigen Tag, als
Jake sie wie ein dummes Schulmädchen in seinem Club hatte sitzen lassen. Die
Episoden in der Finca relativierte sie trotzdem lieber, indem sie ihre Erlebnisse als
Alpträume deklarierte. Keith sollte trotz allem nicht den Eindruck bekommen, sie habe
nicht alle Tassen im Schrank.
Ihr Bericht wurde nur gelegentlich durch kurze Zwischenfragen unterbrochen.
Ansonsten hörte Keith einfach nur sehr aufmerksam zu.
Jetzt war sie erschöpft. Ihr Mund war vom vielen Reden trocken und ihr Gehirn war
ausgelaugt. Trotzdem fühlte sie sich jetzt besser. Es rauszulassen, es jemand anderem
zu erzählen hatte eine heilsame Wirkung auf ihre Psyche gehabt. Jetzt war das Gefühl
verschwunden, etwas falsch gemacht zu haben oder gar selbst schuld zu sein.
Das Schweigen nach ihrem Monolog hielt nicht lange an. Keith hatte etwas zu sagen.
Er räusperte sich.
„Dass Thorn auf die Finca scharf ist, habe ich gar nicht gewusst. Es wundert mich auch.
Ferienhäuser gehörten bisher nicht zu seinen Geschäftsfeldern und um ehrlich zu sein,
gäbe es auch wesentlich interessantere Objekte, wenn man auf die Vermietung an
Touristen hinaus will. Ich werde aus der Sache noch nicht so richtig schlau. Die
Reaktion von Mr. Tirado kann ich dir dagegen sehr genau erklären. Er weiß nämlich,
welche Art von Geschäften Jake Thorn gewöhnlich macht.“
Jetzt hatte er Michelles Aufmerksamkeit erregt.
„Was für Geschäfte meinst du? Den Nachtclub?“
„Ja, den unter anderem. Allerdings nicht den Club an sich sondern die Geschäfte, die er
unter dem Deckmantel des Clubs außerdem betreibt. Das geht von Drogen, über
Prostitution bis hin zur Hehlerei. Die oberen Zehntausend der Insel sind nicht die
einzigen Stammgäste dort. Thorn hat glänzende Kontakte zur Unterwelt. Das ist kein
Geheimnis. Was Mr. Tirado besonders gegen Thorn einnimmt, ist ein Gerücht, das sich
seit zwei Jahren verbreitet. Thorn soll Kontakte zur ETA haben.“
Dazu wusste Michelle nichts zu sagen. Der Mund stand ihr offen. Jake, der Mann, den
sie so nahe an sich herangelassen hatte, wie kaum einen zuvor sollte mit Terroristen
Geschäfte machen?
„Das kann unmöglich wahr sein“, protestierte sie.
„Du sagst doch selbst, dass es nur Gerüchte sind.“
„Gerüchte dieser Art haben aber meist einen wahren Kern. Gut, vielleicht macht er ja
keine Geschäfte mit ihnen, mag sein. Tatsache ist aber, dass sein Club von bekannten
ETA-Sympathisanten besucht wird. Das sind Leute, die Geld für die Organisation
sammeln, in der Presse Stimmung für ein freies Baskenland machen und Ähnliches
mehr. Und selbst wenn er keine Geschäfte mit ihnen macht, was bedeutet das
angesichts dessen dann schon? Mr. Tirado ist jemand, auf den es die ETA abgesehen
hat. Sie sehen in ihm einen Handlanger der spanischen Regierung. Es hat weiß Gott
genügend Hinweise vom Geheimdienst an ihn gegeben, dass er als mögliches
Anschlagziel infrage käme.“
„Woher weißt du das alles überhaupt? Spricht Mr. Tirado mit dir über solche Dinge?
Juanita weiß davon jedenfalls nichts, denn sonst wüsste ich es auch schon.“
„Sagen wir mal so: Ich arbeite bisweilen sehr eng mit ihm zusammen. Er bindet mich
schon weit umfassender ein, als mir nur die Verwaltung seiner Finca zu überlassen.“
„Klingt geheimnisvoll, finde ich.“
Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Da ist nichts Geheimnisvolles dran. Ich bin so etwas wie seine rechte Hand hier auf der
Insel. Hausmeisterdienste und Sonderaufgaben sozusagen.“
Ob sie ihm das abkaufen konnte, wusste Michelle nicht. Die Sache mit Jake jedenfalls
kaufte sie ihm ab. Darüber hinaus wurde ihr die Rolle, die Keith für die Tirados spielte
immer schleierhafter. Er schien mehr zu wissen, als Mr. Tirados eigene Tochter. Das
war schon merkwürdig. Auf der anderen Seite war sie überzeugt, dass Keith ein durch
und durch ehrlicher Mensch war. Sie bekam die unterschiedlichen Eindrücke, die sie
von ihm hatte, noch nicht unter einen Hut.
„Ich bin schockiert von diesen Neuigkeiten, das kannst du dir wohl vorstellen und ich
muss meine Konsequenzen daraus ziehen. Denkst du nicht auch?“
Es gelang ihr kaum, die Empörung über den sauberen Herrn Thorn in ihrer Stimme zu
unterdrücken. Sie bebte geradezu.
„Irgendetwas solltest du in
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