Der Fluch der Finca
Sie tun, Señora?“
„Oh, Sie sprechen meine Sprache“, rief Michelle erfreut.
„Si, natürlich, junge Dame. Ich habe gleich gesehen, dass Sie Amerikanerin sein
müssen. Ich habe einen Blick dafür.“
Das lief schon ganz gut, fand Michelle. Jetzt fehlte nur noch, dass es hier ein freies
Zimmer gab.
„Da haben Sie wirklich einen guten Blick entwickelt. Ist in Ihrem Job bestimmt von
großem Vorteil. Aber warum ich eigentlich hier binn ich suche noch ein Zimmer für die
nächsten Nächte, oder wenigstens für diese Nacht, wenn nicht mehr möglich sein sollte.
Haben Sie denn noch etwas frei?“
„Oh, Si natürlich. Ist alles frei bei uns. Keine Gäste hier im Moment.“
Michelles Herz machte einen Hüpfer der Erleichterung.
„Aber das ist ja toll! Sie sind wirklich meine Rettung. Ich nehme ein Einzelzimmer.
Zunächst für eine Woche.“
Die Rezeptionistin lächelte verbindlich und nahm das Reservierungsbuch zur Hand.
Computer hatte man hier offenbar noch nicht eingeführt. Das gab es nicht mehr häufig
zu sehen, aber bei einer so kleinen Pension überraschte es Michelle auch nicht
sonderlich, dass noch mit Papier gearbeitet wurde.
Der Kugelschreiber kreiste schon über einer leeren Seite, als sich der Gesichtsausdruck
der Spanierin mit einem Mal änderte und sie den Stift beiseitelegte. „Es tut mir leid,
Señora, ich kann Ihnen kein Zimmer anbieten.“
„Was?“
Es kam keine Antwort, nur ein ausdrucksloser Blick, aus dem alle Freundlichkeit
gewichen war.
„Aber sie sagten doch, dass alles frei ist?“
„Alle Zimmer sind frei. Ich kann Ihnen kein Zimmer anbieten.“
Langsam wurde es Michelle zu bunt. Was war denn mit der Frau los, zum Teufel noch
mal?
„Ich verstehe nicht ganz. Glauben Sie, ich kann nicht bezahlen? Ich habe Geld, sehen
Sie hier. Ich kann auch gern im Voraus bezahlen.“
Michelle hielt ihr die geöffnete Geldbörse unter die Nase, doch die Señora blickte nicht
hinein. Sie fixierte sie einfach weiter mit toten Augen. Anders konnte man ihren Blick
nicht deuten. Jedes Anzeichen von Intelligenz war urplötzlich daraus verschwunden.
Und nicht nur das. Das Gesicht der Frau sah jetzt auch viel älter aus, als noch vor
wenigen Sekunden. Auch ihr Haar war von einem dezenten Grauton ins Weiße
übergegangen.
Das bildest du dir jetzt aber ein. Die Alte geht dir nur auf die Nerven. Wahrscheinlich
macht das nur ihr belämmerter Gesichtsausdruck. Mein Gott – wie ein Zombie!
„Sie werden hier kein Zimmer bekommen, junge Lady. Sie werden auf der ganzen Insel
kein Zimmer bekommen. Gehen Sie zurück auf die Finca!“
Jetzt hatte sich sogar die Stimme geändert. Sie klang überhaupt nicht mehr so, wie
zuvor, sondern eher wie … wie ein Wispern.
Das Blut sackte Michelle vom Kopf in die Beine und sie wurde kreidebleich. Die Welt
begann sich zu drehen und dann rannte sie. Ohne sich noch ein einziges Mal
umzudrehen, floh sie durch den Korridor, die Tür hinaus und ohne auf den Verkehr zu
achten, quer über die Straße.
Ich bin verloren! Oh mein Gott, was soll ich nur tun?
Völlig orientierungslos rannte sie aufs Geratewohl weiter, stolperte über einen
Werbeaufsteller und strauchelte. Gleich würde sie auf den harten Asphalt aufschlagen
und sich die Knie aufschrammen.
Etwas fing ihren Sturz ab. Es war Keith, der mit einem Sprint zu ihr gerannt war, als er
sie aus der Pension hatte kommen sehen. Ihr Sturz endete in seinen starken Armen.
„Michelle“, schrie er sie an.
„Michelle, verdammt noch mal, was ist denn los? Beruhige dich doch!“
Das Herz hämmerte immer noch in ihrer Brust, doch sie musste sich jetzt
zusammennehmen. Sie konnte Keith unmöglich klarmachen, was vor sich ging.
„Da waren Ratten.“
„Was?“ Seiner Stimme war eine gewisse Erleichterung anzuhören. Er lachte kurz auf.
„Ratten? Und darum machst so einen Aufstand?“
Irgendwie gelang es Michelle, sich auch ein nervöses Lachen abzuringen.
„Ich kann doch nichts dafür. Ich habe panische Angst vor Ratten.“
Keith schüttelte nur amüsiert den Kopf und stellte sie gerade vor sich hin. Er zuckte mit
den Schultern.
„Und jetzt?“
„Schlafe ich eben doch in der Finca. Ich nehme einfach eine Schlaftablette und dann
wird es schon gehen. Alpträume würde ich in diesem Loch hier auch kriegen.“
Nachdem er sie noch einmal prüfend angesehen hatte, schien er von ihrer Geschichte
überzeugt.
„Dann fahre ich dich jetzt mal nach Hause. Es ist ja schon langsam spät
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