Der Fluch der Finca
möglichen Verstecke systematisch zu
durchsuchen. Jede Schublade, jedes Fach und jeder Winkel musste genauestens
untersucht werden. Lag in einer Schublade ein Stapel mit Papieren, war es notwendig,
jedes einzelne Blatt anzufassen. Die gesuchten Seiten konnten sich ja an jeder Stelle
des Stapels verbergen. Wenn sie sich nicht verzählt hatte, mussten es vier Seiten sein,
die sie suchten. Vier Blatt Papier in einem großen Haus zu finden, war kein Kinderspiel.
Michelle ging äußerst gewissenhaft vor. Sie sah auch unter die Schränke, inspizierte die
Rückseiten von Gemälden, löste die Bilder sogar vorsichtig aus ihren Rahmen und
sparte auch sonst keinen Winkel aus. Keith war unterdessen damit beschäftigt,
Leitungsschächte zu inspizieren, nach losen Dielenbrettern oder Bodenfliesen zu
suchen, Wände nach Hohlräumen abzuklopfen und andere unzugängliche und wenig
offensichtliche Versteckmöglichkeiten zu überprüfen.
Zwischendurch telefonierte er immer wieder mit seinen CIA-Kollegen in den USA. Mit
jedem Anruf wurde Keith ungehaltener. Michelle konnte hören, wie er seinen
Gesprächspartner anherrschte, dass sie sich gefälligst mehr Mühe geben sollten. Gute
Nachrichten gab es beim nächsten Anruf dennoch nicht.
Die Suche nach Jake Thorn und seinen Komplizen schien weitgehend im Sande zu
verlaufen und damit schwand auch die Chance, Juanita zu finden immer weiter.
Die Stunden vergingen und weder Michelle noch Keith machten die entscheidende
Entdeckung.
„Es ist zum Verrücktwerden. Wenn wir bis Sonnenuntergang nichts gefunden haben,
muss ich Mr. Tirado raten, auf die Forderungen der Entführer einzugehen.“
Es war Keith deutlich anzusehen, dass er von dieser Option überhaupt nichts hielt und
er sich ärgerte, keine bessere Lösung zu haben. Michelle versuchte, ihn aufzumuntern:
„Na, dann ist es eben so, Keith. Es wäre natürlich schön, wenn man Jake dingfest
machen und Juanita befreien könnte, aber wenn wir seine Forderungen letztlich doch
erfüllen müssen, ist das doch auch nicht das Ende. Die Hauptsache ist doch, dass wir
Juanita frei bekommen.“
„Und wer sagt uns, dass Thorn sie tatsächlich freilässt, wenn wir auf seine Forderungen
eingehen? Vielleicht hat sie ihn ja gesehen und ist jetzt eine lästige Zeugin, die er aus
dem Weg räumen muss, egal ob er bekommt, was er will. Hast du daran schon mal
gedacht?“
Natürlich hatte sie daran schon gedacht, nur weigerte sie sich, diese Möglichkeit
ernsthaft in Betracht zu ziehen. Dafür, dass er ihr diese Wahrheit so direkt vor die Füße
warf, hätte sie ihn in diesem Moment ohrfeigen können. Stattdessen warf sie ihm nur
einen zornigen und beleidigten Blick zu und verließ das Haus, um sich draußen zu
beruhigen.
Die Sonne stand schon ziemlich tief und bald würde wieder die Dämmerung einsetzen.
Hätten sie nicht die dringende Aufgabe, die fehlenden Seiten zu suchen, hätten sie
sicher schon längst das Weite gesucht. Weder sie noch Keith hatten ein Interesse
daran, noch eine Nacht wie die letzte zu erleben, doch genau darauf würde es
hinauslaufen. Sie waren dazu verdammt, hier zu bleiben und die Suche bis zum bitteren
Ende fortzusetzen. Das Schlimmste daran war, dass Michelle eine sehr eindringliche
Vorahnung hatte: Dieses Mal würde es nicht mehr glimpflich ablaufen. Wenn sie heute
Nacht noch hier wären, würden sich die Gestalten nicht mehr aufhalten lassen. Michelle
fröstelte in der warmen Abendsonne und betete, dass es ihnen gelingen möge, zu
finden, was sie suchten, noch bevor die Sonne hinter dem Horizont versank.
Da sie unfähig war, Ruhe zu finden oder stillzusitzen, steuerte Michelle an der Poolbar
vorbei und beschloss, eine komplette Runde um die Finca zu gehen. Vielleicht fand sich
an den Außenmauern oder auf dem Grundstück noch der eine oder andere Winkel, den
es zu durchsuchen lohnte. Bisher hatten sie sich noch auf das Innere des Gebäudes
beschränkt. Nicht, weil sie die Außenseite vergessen hatten, sondern einfach weil sie
drinnen noch nicht fertig waren. Nun, da sie aber schon mal hier draußen war, nahm
sich Michelle vor, die Augen offen zu halten.
Auf der Rückseite des Hauses, dort wo das Beet lag, in dem Michelle die Spuren des
nächtlichen Besuchers gefunden hatte, machte sie plötzlich Halt.
Warum bleibe ich stehen?
Ihre Beide hatten einfach selbständig das Gehen eingestellt. Kein Luftzug war zu
spüren und kein Geräusch war zu hören. Es war, als wäre die
Weitere Kostenlose Bücher