Der Fluch der Finca
instinktiv in die Richtung, aus
der ein frischer Lufthauch herübergeweht kam. Um etwas sehen zu können, entschied
sie sich, das Tuch kurz von Mund und Nase zu nehmen, um sich die Augen
auszuwischen. Es half so weit, dass sie wieder etwas erkennen konnte.
Die Rauchschwaden wurden regelrecht durch das weit geöffnete Fenster nach draußen
gesaugt. Inmitten des abziehenden Rauchs stand Keith und hielt die Mündung seiner
Pistole auf das Fenster gerichtet. Wäre jetzt irgendetwas in der Öffnung aufgetaucht,
hätte er es augenblicklich mit einer tödlichen Salve eingedeckt.
Von einem neuen Hustenanfall geschüttelt, gelang es Michelle nur mit purem Willen, auf
die Beine zu kommen. Sie starrte das dunkle Loch an, in das der Qualm entschwand.
Die Dunkelheit hinter dem offenen Fenster sah wie der Schlund der Hölle aus. Absolute
Schwärze schien dort zu herrschen und einen grausamen Augenblick lang war Michelle
davon überzeugt, dass sich genau jetzt etwas aus dieser Dunkelheit auf Keith stürzen
und ihn zerreißen würde.
Jetzt war die Sicht im Raum fast schon wieder normal, doch noch bevor sie aufatmen
konnten, brach draußen wieder das Brausen der Stimmen los. Dieses Mal war es fast
schon ein Kreischen. Diese Stimmen waren wütend.
Keith warf die Waffe beiseite, stürzte zum Fenster und schlug es zu. Im selben Moment,
als er die Verriegelung betätigte, klatschte eine Hand von außen gegen die Scheibe. Als
das Fenster sich unter dem Druck nicht bewegte, verschwand die Hand sofort wieder.
Sie war vielleicht eine knappe Sekunde lang zu sehen gewesen, doch das reichte, um
Michelles Entsetzen auf neue Höhen zu treiben.
Diese Hand hatte ausgesehen, wie die eines Toten. Sie war ausgemergelt, grünlich und
klauenartig verkrampft. Die Haut hatte tiefe Risse gehabt und … ja und was eigentlich?
Sie war real.
Diese Erkenntnis traf sie mit voller Wucht wie ein Schlag in den Magen.
Die Stimmen, die Schatten, das Poltern und die Spuren – das alles war schon schlimm
gewesen und hatte genügt, sie fast um den Verstand zu bringen. Doch der Anblick
dieser Hand hatte eine ganz andere Qualität gehabt. Diese Hand war der finale Beweis
für die physische Existenz dieser Wesen da draußen. Sie gab ihren Phantasien eine
reale Grundlage. So würde die Hand aussehen, die sie packt, sobald es diesen Wesen
gelang, ins Haus zu kommen. Diese knochige, tote Hand würde es sein, die ihre Haut
berühren und sich um ihre Kehle legen würde.
Ihr wurde wieder schlecht, doch zumindest bekam sie wieder Luft. Vom Fenster her
hörte sie trotzdem ein Keuchen. Es war Keith, der mit dem Rücken an der Wand unter
dem Fenster saß und pumpte, wie ein Marathonläufer. Die Vorhänge hatte er bereits
wieder zugezogen, aber auch er hatte natürlich gesehen, was sie gesehen hatte. CIA
hin oder her – auf solche Dinge konnte auch er nicht vorbereitet gewesen sein.
„Keith, komm´ zu mir!“
Sie streckte ihm ihre Hand entgegen und er wirkte mehr als dankbar für diese Geste. Er
stand auf, kam zu ihr und ließ sich neben ihr nieder. Sie nahm ihn die Arme und er
erwiderte ihre Umarmung mit Inbrunst. Eine Weile saßen sie da wie zwei Kinder, die
sich im Wald verirrt hatten, und trösteten sich gegenseitig. Dann küsste er sie auf die
Stirn, erhob sich und machte sich daran, den Fernseher zu untersuchen.
„Ein Kabelbrand war es nicht“, stellte er fest.
„Der Schwelbrand ist irgendwo im Inneren des Gerätes entstanden.
„Aber ich weiß bestimmt, dass er nicht auf Standby war. Ich schalte Fernseher immer
ganz aus.“
Das schien Keith nicht zu beeindrucken, denn er lachte nur humorlos auf und schüttelte
den Kopf.
„Darüber müssen wir uns nicht den Kopf zerbrechen. Hier ist überhaupt nichts logisch
oder normal. Ich muss mich entschuldigen, dass ich dir nicht geglaubt habe. Jetzt tue
ich es.“
Das war die beste Nachricht, die Michelle in letzter Zeit gehört hatte. Keith war
überzeugt und versuchte nicht mehr, eine pseudo-logische Erklärung zu finden. Jetzt
konnte Juanita doch noch gerettet werden. Jetzt konnte sie Keith in ihren Plan
einweihen. Doch vorher war noch etwas zu klären, was sie nicht verstand. Sie würde
sich mit Keith beratschlagen müssen. Solange diese letzte Frage nicht vollständig
geklärt war, konnte sie immer falsch liegen.
„Es ist gut, dass du gesehen hast, was ich gesehen habe. Jetzt haben wir zu tun,
sobald die Sonne wieder aufgegangen ist.“
Hast du denn einen Plan?
Weitere Kostenlose Bücher