Der Fluch der grünen Steine
mitgenommen. Meter um Meter rollte er ihn auf, je tiefer er in den Berg tappte. Die letzte Strecke konnte er nur noch kriechen. Hier war der Stollen gerade so hoch, daß man sich auf Händen und Knien fortbewegen konnte. Ein Kriechgang, in das Gestein gehauen, nicht abgestützt, eine scharfkantige Röhre, die man auch nur rückwärts kriechend wieder verlassen kann. Sich drehen oder umwenden ist unmöglich. Man muß den Gummischlauch hinter sich herziehen, immer in Mundnähe, denn je tiefer man in den Berg kriecht, um so mehr wird der Schlauch die einzige Verbindung zum Leben: Luft! Luft! Luft!
Am Ende des Ganges, vor der Wand, die er weiter aufreißen wollte, in atemberaubender Hitze und ohne Sauerstoff, blieb Pebas erst einmal ein paar Minuten liegen und atmete durch den Gummischlauch. Er saugte das bißchen Luft in sich hinein, was man durch den Schlauch bekam, und griff dann zu Meißel, Hammer und der kleinen Schaufel, mit der er die losgelösten Steine und die Erde hinter sich warf.
Welche Qual. Und welche Hoffnung in diesem täglichen Todesgraben: Einmal kommst du an die große grüne Ader. Einmal liegst du da im Berg, die Taschenlampe um die Stirn geschnallt, und blickst verzückt auf das grüne Schimmern. Die Millionen gehören dir, du brauchst sie nur noch herauszubrechen und nach Bogotá zu bringen. Über die Todesstraße. Vorbei an den Augen von ›Mamá‹ und Christus Revaila. Ist das alles geschafft, hast du ein Recht darauf, den Rest deines Lebens nichts mehr zu tun, sondern deinen Reichtum zu genießen.
Margarita brachte das Essen. Maria Dolores hatte einen großen Kessel mit Bohnensuppe gekocht und sogar ein Huhn geopfert. Mit allen möglichen Gefäßen zogen die wilden Burschen aus der ›Burg‹ an dem Kessel vorbei und bekamen eine große Kelle voll Suppe und Fleischstückchen. Dann hockten sie sich auf den ›Bauplatz‹, schlürften das Essen und bissen in das mitgebrachte Brot. Der Mann mit dem Vollbart kam wieder zu Dr. Mohr, ein Brot in der Hand.
»Wollen Sie eins haben«, fragte er. »Selbstgebacken. Wir haben einen guten Bäcker in der ›Burg‹. Überhaupt haben wir aus fast allen Berufen einen unter uns. Sogar einen Rechtsanwalt. Und der bin ich.«
»Sie sind Anwalt«, Dr. Mohr nahm das Brot und roch daran. Es war frisch und duftete köstlich. »Ich gebe den Pebas auch etwas davon.«
»Wenn sie es annehmen. Für sie sind wir die Ausgeburt des Satans.«
»Warum sind Sie hier?« fragte Dr. Mohr.
»Wegen der Smaragde. Dumme Frage!« Der Mann mit dem Vollbart löffelte seine Suppe aus einer verbeulten Aluminiumschüssel. »Vor fünf Jahren fing alles an. Ich hatte eine ziemlich mies gehende Praxis in Vallavicencio. Was passiert schon in Vallavicencio; ein paar Betrügereien, Auseinandersetzungen, bei denen Ehemänner ihre Frauen grün und blau schlagen, Diebstähle, ein paar Gutachten oder Firmenberatungen, einmal sogar ein Mord, bei dem die Tatumstände so klar lagen, daß ich kaum zu plädieren brauchte. Wahrlich keine besonders einträgliche Sache! Bis dann eines Tages ein Mann zu mir in die Kanzlei kam und ein Taschentuch auswickelte. Smaragde. Einer schöner als der andere. Wert schätzungsweise 400.000 Dollar. ›Das habe ich in sechs Wochen gefunden‹, sagte der Mann. ›Ich hatte Glück! Kennen Sie Penasblancas?‹ – Ich kannte es natürlich nicht. Wer kennt diese Hölle schon. Aber ich wurde neugierig. Ich beriet den Mann, wie er sein Geld gut anlegen könnte, machte meinen Laden zu und fuhr in die Kordilleren. Seitdem bin ich hier und schürfe. Es hat bis heute neun Tote gegeben, die mich stören wollten.«
»Und lohnte es sich?«
Der Mann mit dem Vollbart blickte Dr. Mohr forschend an.
»Ja –«, sagte er langsam. »Heute bin ich ein reicher Mann – wenn ich die Steine heil durchbringe. Ich habe sie noch vollzählig beisammen. Nächstes Jahr wollen wir alle gemeinsam bis Bogotá durchbrechen. Dann ist das größte Vermögen auf der Straße, das Kolumbien je gesehen hat. Ungefähr 10 Millionen Dollar! Der größte Smaragdtransport aller Zeiten. Wird das eine Schlacht geben!« Er kratzte seine Schüssel aus und drohte Dr. Mohr mit dem Löffel. »Wenn Sie was sagen, Doctor, hänge ich Sie zwischen zwei gebogenen jungen Bäumchen auf! Das reißt Sie langsam mitten durch!«
»Sie besitzen nicht gerade die allgemein übliche Rechtsanwaltsmentalität«, sagte Dr. Mohr säuerlich.
»Diese Art von Liquidation haben wir von Revaila gelernt.« Der Mann mit dem Vollbart
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