Der Fluch der grünen Steine
Tour, dann tritt er um sich. Wer hat eigentlich meinen Sohn geholt?«
»Das war Team-Arbeit. Allein jedenfalls hätte ich das nicht mehr geschafft. Ich bin doch verdammt aus der Übung gekommen. Aber das hole ich wieder auf! Baut nur schnell das Hospital auf.«
Dr. Mohr kam an die Tür und stieß sie auf. Der Bärtige nickte mehrmals. »Ich gehe ja schon!« brummte er. »Bäuche aufschneiden und Gliedmaßen amputieren, das können Sie. Aber von Psychologie haben Sie keine Ahnung! Wissen Sie, wie alt ich bin?«
»Das erzählen Sie mir später.«
»Nein. Jetzt und hier! 56 Jahre … Und das ist mein erste Kind.«
»Da haben Sie bisher sicherlich unverschämtes Glück gehabt.«
»Man könnte ihn ohrfeigen!« sagte der Bärtige dumpf. »Man könnte ihn dauernd ohrfeigen! Rechts und links und von oben und von unten! Halten Sie den Mund, Doctor. Ich verschwinde ja schon.«
Das war vor zwei Stunden gewesen. Jetzt standen sie vor dem ersten Steinwall der ›Burg‹, genau in der Mitte des Schußfeldes, das jeder durchlaufen mußte. Ein Todesstreifen, den niemand ungesehen passieren konnte. Zum ersten Mal betraten nun Fremde die ›Burg‹.
»Ich glaube, es wird Zeit, daß ich mich vorstelle«, sagte der Bärtige. »Ich bin Dr. Ramon Novarra.«
»Also doch!« entfuhr es Simpson.
»Jawohl, ich bin's!« Novarra wartete auf eine Reaktion, aber bis auf Simpson hinterließ sein Name keine Zeichen von Erstaunen oder Betroffenheit. »Stört Sie das?«
»Ich wüßte nicht, warum.« Dr. Mohr war der Name kein Begriff. »Sie hätten auch Bambilla sagen können.«
»Ramon Novarra war der meistgesuchte Mann in Kolumbien«, sagte Pater Cristobal. »Mit seinem Kopf könnte man reich werden, wenn man ihn abliefert.«
»Ich war jahrelang im Ausland. Dort habe ich mich um die Kranken gekümmert – ausschließlich – und nie um Politik. Einem Nieren-Ca ist es gleichgültig, ob in Kolumbien eine Revolution stattfindet, und ein Ventrikel-septum-Defekt schließt sich nicht von allein, wenn man ihm den Namen Novarra zuruft. Ich bitte also um Verzeihung, wenn ich die hohe Politik hier nicht kenne.«
»Ich bin zum Tode verurteilt«, sagte Novarra.
»Soll ich jetzt vor Ehrfurcht strammstehen?«
»Sie sind der größte Ignorant von Tatsachen, Doctor! Sie kommen hier in die Hölle von Penasblancas und Muzo, ohne eine Ahnung zu haben, was Sie erwartet. Sie hauen Christus Revaila um und wissen nicht, daß sie damit eigentlich schon gestorben sind. Sie ziehen in die Berge, zeigen auf einen Fleck und bestimmen: Hier baue ich ein Hospital! Als ob das selbstverständlich wäre! Ich weiß nicht, was ich von Ihnen halten soll.« Novarra hob den Arm. Aus einer Steinbastion löste sich ein Mann und kam langsam näher. Vor der Brust trug er ein Schnellfeuergewehr, über dem Arm ein paar Stoffstreifen. »Ich muß Ihnen die Augen verbinden, Señores. Nicht, weil ich mißtrauisch bin, sondern weil ich Sie nicht in Gefahr bringen möchte. Kein Außenstehender kennt den Eingang. Er findet ihn auch nicht, weil er gar nicht erst bis an den ersten Wall kommt. Und will man tatsächlich einmal mit überlegenen Kräften das Vorfeld stürmen, so hat man nur eine Mauer erobert. Dahinter geht's erst richtig los! Es besteht nun die Möglichkeit, daß das Militär mich doch einmal entdeckt. Dann werden alle Personen in der Umgebung verhört. Soll ich Ihnen erklären, wie hier ›verhört‹ wird?!«
»Wir wissen es«, sagte Pater Cristobal bedrückt.
»Hier wird auch vor einem Priesterrock nicht haltgemacht. Meine Männer lassen sich die Haut abziehen und schweigen, aber ob Sie die Stärke haben, Señores? Geben Sie mir recht, wenn ich Sie einen Risikofaktor nenne? Um das auszuschalten und damit Sie später sagen können, Sie hätten wirklich nichts gesehen, muß ich Ihnen die Augen verbinden.«
Der Wachtposten trat hinter die beiden Ärzte und den Pater und legte jedem eine stramme Binde um. Novarra kontrollierte, ob sie auch wirklich nichts mehr sahen, indem er ein Messer zog und hintereinander nach Dr. Mohr, Pater Cristobal und Dr. Simpson stieß. Kurz vor ihrem Gesicht bremste er den Stoß ab.
Keiner reagierte.
»Gehen wir«, sagte Novarra zufrieden. »Fassen Sie sich an die Hände, als wollten Sie Ringelreihen spielen. Ich führe Sie.«
Sie gingen los, überquerten das Schußfeld und fühlten unter ihren Sohlen, wie der Boden steiniger wurde. Erst ging es etwas hinauf, dann ziemlich steil hinab. Dr. Mohr tastete mit der linken Hand zur Seite und
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