Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der Halblinge

Der Fluch der Halblinge

Titel: Der Fluch der Halblinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prisca Burrows
Vom Netzwerk:
Zeug zusammen. In alle Richtungen strebten die Leute ihren Behausungen zu. Es war kaum ein Einzelner in der stetig dahinfließenden Menge auszumachen. An den großen Kreuzungen kam es zu den üblichen Staus mit Karren und Fuhrwerken und Reitern. Doch anders als sonst waren keine lauten Flüche zu hören, niemand fuchtelte mit dem Arm oder bedrohte einen anderen. Es ging alles überaus gesittet zu, jeder war ausgesucht höflich zum anderen und bat ihn in aller Freundlichkeit, den Weg freizumachen. Was nicht viel half, weil dennoch alles hoffnungslos verkeilt war; und trotzdem verlor keiner die Ruhe.
    Tiw verharrte für eine Weile und betrachtete das Schauspiel einigermaßen irritiert. Die Lage war offenbar ernster, als er und seine Mitstreiter zuerst angenommen hatten.
    »Ist das angenehm«, sagte jemand, der an ihm vorüberkam, zu seinem Begleiter. »So eine freundliche Stadt, hier fühle ich mich wohl. Ich werde gern noch eine Weile bleiben.«
    Ja, das wäre schön: eine Welt, in der alle nur noch nett zueinander sind. Tiw schüttelte heftig den Kopf und trommelte sich gegen die Stirn. Fing es bei ihm etwa auch schon an? Er durfte sich nicht beeinflussen lassen! Allmählich verstand er, was passiert war. Genau das, wovon die meisten träumten: eine friedliche Welt ohne Angst. Darauf fiel jeder herein! Und ließ sich gern hineinfallen in die süße Verlockung, das wunderbare Versprechen …
    … das eine Lüge war!
    Aber … muss es denn eine Lüge sein? Wieso sollte es nicht möglich werden? Waren die Bogins nicht von genau solcher Art, sanft und friedlich, nur selten einmal ein scharfes Wort, ein kleiner Streit?
    Aufhören! Das muss aufhören! Tiw keuchte. Erneut schlug er sich gegen die Schläfe und stolperte weiter. Taumelte, kämpfte und rang mit sich. Glücksgefühle überschwemmten sein Inneres, füllten Lücken aus, die er längst vergessen hatte.
    »Aus dem Weg!«, herrschte ihn eine strenge Stimme an, und Tiw fuhr zusammen.
    Das war sein Glück. Aus dem inneren Kampf herausgerissen, konzentrierte er sich auf die Wirklichkeit und fand aus der trügerischen Falle heraus. Er hob den Kopf und sah einen Elb in Rüstung auf einem Pferd, der sich seinen Weg durch die Menge bahnte. Er hatte die kleine Gestalt im Kapuzenmantel bereits erspäht und kam auf Tiw zu.
    »Du! Wieso bist du allein unterwegs? Zeig mir dein Gesicht!«
    Tiw gab sich verängstigt, steckte den Kopf noch mehr ein. Was ihm nicht schwerfiel, denn der Schrecken war ihm in alle Glieder gefahren. Er konnte nicht mehr ausweichen. Und das nur, weil er sich hatte ablenken, beeinflussen lassen. Ein törichter Anfängerfehler, der ihn nun womöglich das Leben kostete! Wofür waren denn all die Übungen und Lehren gut gewesen, wenn er ausgerechnet in diesem wichtigsten aller Momente versagte? Innerlich fluchte er. Immerhin, dass er das tat, bedeutete wohl, er hatte keine glasigen Augen mehr. Leider aber hatte der Elb auch keine. Er gehörte also zur anderen Seite.
    Der Elb konnte ihn durchschauen, spüren , was unter der Kapuze steckte. Drohend kam er auf dem Pferd näher und zog langsam das Schwert. Unwillkürlich gingen alle Vorübereilenden auf Abstand, sodass eine breite Gasse zwischen Tiw und dem herannahenden Reiter entstand, der nun freie Bahn hatte.
    Tiws Verstand arbeitete fieberhaft und durchlief alle Möglichkeiten, die ihm blieben.
    Er konnte fliehen, flink in eine Gasse hinein, und wäre im Nu im labyrinthischen Geflecht verschwunden. So schnell konnte kein Pferd sein, bei all den Winkeln, Kurven und Ecken, und in der Enge.
    Er konnte versuchen, sich bei einer Frau, die ein Kind bei sich führte, zu verstecken und sie um Hilfe anflehen. Das würde für Ablenkung sorgen, in deren Verlauf er fliehen konnte.
    Nein, das gefiel ihm beides nicht. Es blieb ihm im Grunde nur eine Wahl. Die Leute um ihn herum würden sich nicht weiter um diese Szene kümmern, denn sie hatten alle glasige Augen oder sie waren zu sehr auf sich selbst konzentriert. Also musste Tiw alles auf eine Karte setzen und seine Gabe anwenden, mit höchster Konzentration und seinem ganzen Willen.
    Ob das funktionierte? Immerhin war er schon erkannt worden. Auf diese Weise hatte er es noch nie versucht.
    Ich bin klein. Noch kleiner. Nicht mehr als eine Maus. Unbedeutend. Man übersieht mich. Ich bin nicht da.
    Langsam hob Tiw den Kopf. Er richtete den Blick nicht direkt auf den Elb, um ihn nicht erneut aufmerksam zu machen, doch er beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Es waren nur

Weitere Kostenlose Bücher