Der Fluch der Halblinge
würden, ich meine, so viel auf sich zu nehmen, um sich einen Traum zu erfüllen. Uns stellen sich so viele Fragen nicht, wir leben in Harmonie mit unserer Welt, und doch frage ich mich, ob wir nicht etwas versäumen.«
Er wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Es berührte ihn, dass diese Unsterbliche ihm ihr Herz öffnete, doch sie war ihm weiterhin fremd. Er war auch nach wie vor erschüttert über den Streit zwischen Morcant und Tuagh. Und dann wieder hatte er Elben wie diese Verfolgertruppe erlebt, die fordernd waren, herablassend, ihre Machtposition herauskehrend. Wie passte der harmonische Lebenseinklang mit der Welt zum Söldnertum, zum Waffentragen überhaupt? In ihrem kriegerischen Gehabe waren die Elben den Menschen sehr ähnlich. In allen anderen Dingen nicht.
»Falls du dir übrigens Gedanken machst wegen meiner Gefühle Tuagh gegenüber«, fuhr sie fort, »dagegen kann ich nichts machen. Ich weiß, dass er nichts für mich empfindet außer Freundschaft. Doch es ist so … wenn wir einmal unser Herz vergeben haben, dann für immer.«
»Dann vergib es nicht an ihn, Màr«, sagte Fionn ruhig. »Es ist Unsinn anzunehmen, dass es nur Einen oder Eine geben kann. Ihr Elben glaubt das, weil ihr euch so selten verliebt, wie du sagst. Aber darin irrt ihr euch. Bewahre dein Herz und halte es geöffnet wie deine Augen, und du wirst sehen, da gibt es irgendwo noch jemanden, der dein Herz gern annimmt und im Gegenzug dir seines gibt.«
Sie lachte kurz, dann musterte sie ihn erstaunt von der Seite. »Was ist das mit euch Bogins, dass man alles von sich preisgibt? Ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen, nie das Bedürfnis gehabt. Nicht einmal mit meiner Schwester.«
»Tuagh sagte einmal etwas Ähnliches.«
»Eigenartig. Ihr seid Halblinge! Wie kann das sein?« Sie schüttelte den Kopf und trieb ihr Pferd an.
Ja, und ihr seid und bleibt arrogant , dachte Fionn, doch er war ihr nicht böse. Sein Werturteil stammte aus seiner eigenen Sicht – und damit war er nicht anders als Màr oder Morcant.
Am Abend stießen Blaufrost und Gru Einzahn wieder zu ihnen, und sie mussten eingestehen, dass sie die Verfolger nicht hatten ausfindig machen können. Der Troll war davon überzeugt, dass sie ihm hätten auffallen müssen, da er sich auf ganz anderen Pfaden als die Gefährten bewegt hatte und vor allem in kurzer Zeit eine sehr viel größere Strecke zurücklegen konnte.
Aber keine Spur.
»Dann haben sie euch bemerkt und werden irgendwo auf uns warten«, sagte Tuagh. »Da sie uns bisher weder eingeholt noch angegriffen haben, wollen sie uns nicht töten, sondern …«
»… uns das, was wir auf unserer Reise zu finden hoffen, abnehmen«, vollendete Fionn und wurde blass. »Du denkst, sie sind von demjenigen geschickt, der die kopierten Seiten hat? Von … von Magister Brychans Mörder?«
»Das halte ich für sehr wahrscheinlich. Er will herausfinden, was wir vorhaben. Aber mach dir keine Gedanken, Fionn, in Clahadus verlieren sie uns.«
Fionn machte sich aber Gedanken. Und in dieser Nacht schlief er ganz und gar nicht gut.
KAPITEL 15
DER VERLUST
Die Tage vergingen in Sìthbaile wie alle anderen. Langsam und gemächlich schlich sich der Frühling herein, die Nächte wurden sichtlich kürzer, die Sonne schien wärmer und häufiger. Die Einwohner der Stadt wie auch die Reisenden gingen ihren gewohnten Tätigkeiten nach. Der Palast lag in strahlendem Weiß wie nur je. Kaum jemand achtete darauf, dass sich nicht wie sonst Leute auf den großen Portaltreppen bewegten. Stattdessen lag der Eingang still und erhaben da, die Krone des Schlosses auf den Schultern. Alle Eingänge, die sonst offen waren, waren verschlossen, doch die Portaltore waren so schön gearbeitet aus Holz und Silber, dass das eher wie eine Bereicherung wirkte. Wachen standen neben den Portalen und reihten sich auch an den Wänden auf. Große Elben in schimmernder Rüstung, mit Flügelhelmen und blitzenden Hellebarden, gerüstet mit Schwert und Axt.
Ein imposanter Anblick, über den Reisende später gern berichten würden. Da die Àrdbéana so gut wie nie Gäste empfing, machte sich kaum jemand Gedanken darüber, weshalb der Palast auf einmal unzugänglich war und derart schwer bewacht wurde.
An den Verlust der Bogins hatte man sich inzwischen gewöhnt, auch daran, dass in den Straßen der Stadt häufig Patrouillen unterwegs waren. Niemand sprach mehr über die Vorfälle der letzten Zeit; es schien fast, als habe man die Bogins sogar ganz
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