Der Fluch der Halblinge
Augen.«
Peredur gehorchte wiederum. Er atmete ruhig, schaltete alle Gedanken aus. Er fühlte, wie eine ungeahnte Kraft ihn durchströmte, sanft und golden, wie ein Sonnenstrahl im finsteren Wald.
Die Dunkelheit hinter seinen Lidern zog sich zurück und lichtete sich, gab den Blick frei auf das Meer, obwohl er die Augen weiterhin geschlossen hielt.
Es schien, als existierte er nun zweimal. Er blickte durch seine eigenen Augen und sah sich zugleich selbst, wie er auf der Klippe stand und sich zur Seite drehte, als er jemanden nahen spürte.
Zwei schmale Gestalten Hand in Hand, mit lang wehendem Haar, farbenfrohen, leichten Gewändern, glänzenden Augen und lächelnden roten Lippen.
Peredur sah, wie seine Gestalt schwankte, und spürte sie zittern. Seine Hand krampfte sich um die des Elben, doch das war nur eine kurze Verbindung mit dem Jetzt , bevor er wieder ins Dort zurückkehrte.
Die liebliche Elbenfrau ließ das kleine Mädchen los, und es lief leichtfüßig auf ihn zu, hielt ihm einen Strauß selbst gepflückter Blumen entgegen.
Peredur ging in die Knie, wollte seine Tochter auffangen, doch sie konnte ihn nicht erreichen, der Abstand war zu groß zwischen Leben und Tod. Doch sie waren sich noch einmal so nahe, wie es nur möglich war. Er konnte ihre Stimme hören, er sah das Strahlen ihrer Augen, und wie verzückt sie die Nase in den Blumen vergrub, als wäre es seine Halsbeuge.
Hafren blieb vor ihm stehen, seine über alles geliebte Frau, genau so, wie er sie in Erinnerung behalten hatte. Ganz ohne Blut und Entstellung.
Peredur spürte, wie sich Tränen unter seinen geschlossenen Lidern hindurchdrückten. Es war der einzige Moment, in dem es ihm trotz seines fehlenden Herzens möglich war, und er ließ sie ungehindert fließen. All die Tränen, die er niemals um seine Familie hatte weinen können, die niemals den Schmerz gelöst und fortgeschwemmt hatten, mit sich genommen hatten dorthin, wo er hingehörte – in die tiefe Kluft zwischen Leben und Tod, wohlverwahrt für immer. Statt Erlösung waren Peredur nur Bitterkeit und Hass geblieben.
Doch nun wurde ihm etwas Kostbares geschenkt – dieser Moment, da er endlich Abschied nehmen durfte. Er hatte sein Herz nicht zurückbekommen, aber die beiden Wesen, die er am meisten auf der Welt liebte, durften endlich Frieden finden.
Seine Tochter erhielt den Namen zurück, der ihr entrissen worden war, damit Schwarzauge sich damit verhüllen und ihr Intrigenspiel hinter schönem Schein treiben konnte. Áladís, kein anderer Name könnte besser zu ihr passen, sie war so zauberhaft wie ihre Mutter und schön wie die Welt.
Und Hafren durfte endlich zu den Fluten des Meeres zurückkehren, denen sie einst entstiegen war, um einen Sterblichen zu lieben.
Es war das größte Geschenk, das nur möglich war, und entschädigte für alles.
»Ich lasse euch ziehen«, flüsterte er. »Lebt wohl, auf immer, und nehmt meine Liebe mit euch, die nur euch gehört.«
Heiß rannen die Tränen, und er spürte, wie sie ihn reinigten, wie sie alles fortwuschen, was Schwarzauge verdorben und in Finsternis gebannt hatte.
Seine Frau und seine Tochter lächelten ihm liebevoll zu, küssten ihn von Ferne, drehten sich um und verschwanden.
Peredur öffnete die Augen und löste seine Hand von Alskár. Behutsam, um sie noch einmal so innig wie möglich zu spüren, wischte er die Tränen von seinen glühenden Wangen. Davon musste er nun zehren, vielleicht noch einmal für tausend Jahre. Eine kostbare Erinnerung, die aber nun keine Bitterkeit mehr barg, und die ihn dem Menschsein wieder näher brachte.
»Ich danke dir«, flüsterte er heiser.
Der Elb legte ihm behutsam die Hand auf die Schulter. »Komm, alter Freund, lass uns zurückreiten.«
Am Abend kamen Fionn, Cady und Tiw vorbei und machten dem König ihre Aufwartung. Peredur freute sich, nicht allein essen zu müssen. Er war inzwischen so an Gesellschaft gewöhnt, dass es ihm anders nicht mehr schmeckte.
Sie vermieden es, über den vergangenen Tag zu sprechen, denn alle wussten, dass der Abschied immer näher rückte. Und sie hatten ein bisschen Angst davor, bedeutete es doch wieder einen neuen Schritt ins Ungewisse. So saßen sie einfach wie die guten Freunde beisammen, die sie geworden waren, und genossen den stillen Ausklang.
Schließlich konnte Fionn es nicht mehr aushalten und fing von Dubh Sùil an, weil es ihn nicht los ließ.
»Wenn ich mir vorstelle, dass all dieses Leid nur durch die Eifersucht einer verschmähten
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