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Der Fluch der Halblinge

Der Fluch der Halblinge

Titel: Der Fluch der Halblinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prisca Burrows
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Angreifer zu Boden ging. Der große Mann riss zuerst den einen, dann den anderen glücklosen Räuber hoch und herrschte beide an: »Packt euch, bevor ich mich vergesse!«, woraufhin sie wie geprügelte Hunde davonliefen.
    Fionn versuchte benommen, sich aufzurichten, als ein Schatten über ihn fiel. Erschrocken verharrte er, als er den Mann erkannte, der sich über ihn beugte.
    Eine Strähne grauen Haars fiel unter der Kapuze hervor, und eine von einem dunklen Bart umrahmte Kinnpartie wurde sichtbar, die von einem starken Willen zeugte. In der Dunkelheit darüber glitzerten klare, bernsteinfarbene Augen, die ihn kühl musterten.
    »B-bitte tu mir nichts!«, stieß er hervor.
    Die Lippen des Mannes zogen sich leicht in die Breite. »Eine erstaunliche Sorge dafür, dass du mich verteidigt hast«, erwiderte er mit ironischem Klang. »Weshalb sollte ich dir wohl etwas antun?«
    »Ich-ich weiß nicht«, stammelte Fionn. »Offen gestanden, weiß ich überhaupt nicht viel, und es wird mit jeder Stunde weniger.«
    »Du scheinst keine hohe Meinung von Menschen zu haben, wenn du mir zutraust, dass ich deine Hilfe mit Hieben vergelte.«
    »Ich hab gar keine Meinung, bitte um Verzeihung, aber ich bin um mindestens einen Kopf kleiner als du und wiege wahrscheinlich nur halb so viel, und ich habe keine Waffe …«
    »… aber enorm viel Mut, einem Fremden zu helfen und dabei das eigene Leben zu riskieren.«
    »Darüber habe ich überhaupt nicht nachgedacht.« Fionn zitterte jetzt noch mehr, als ihm bewusst wurde, wie sehr der Fremde recht hatte. »Ich konnte es einfach nicht mit ansehen …«
    Der Mann schüttelte leicht den Kopf. Er griff plötzlich nach Fionns Hand, der vor lauter Schreckensstarre nicht in der Lage war, sie wegzuziehen, und zog ihn kurzerhand auf die Beine, stellte ihn gerade hin und klopfte ihn behutsam ab.
    »Ich danke dir, kleiner Halbling«, sagte er freundlich. »Du solltest jetzt zusehen, nach Hause zu kommen, denn bald wird es dunkel, und du bist für die Nacht nicht ausreichend gekleidet.«
    Fionn brachte kein Wort hervor, weil sich sonst seine ganze Trostlosigkeit in Tränen aufgelöst hätte.
    »Und außerdem«, fuhr der Mann fort, »ist es zu gefährlich.« Er nickte dem jungen Bogin zu und verschwand um die Hausecke nebenan, ohne sich noch einmal umzusehen.
    Einige wenige Worte eines Menschen nur – und Fionn wurde so richtig bewusst, was er getan hatte, und was ihn erwartete.
    Er war ein Geächteter, jeden Moment in Gefahr, verhaftet zu werden. Er hatte nichts dabei, um überleben zu können – kein Geld, keine Waffen, nicht einmal richtige Kleidung. Er wusste nicht, wohin er gehen konnte, weil er sein Geburtshaus noch nie in seinem jungen Leben verlassen hatte. Dazu hatte es keine Veranlassung gegeben, das Anwesen war groß, Haus und Garten boten alles, damit ein Bogin darin arbeiten konnte. In der Bibliothek des Hauses gab es einige Kartenrollen, aber dafür hatte Fionn sich nie interessiert. Sie waren nicht nützlich. Ganz abgesehen davon, dass es ihm gar nicht erlaubt gewesen war, die Bibliothek zu betreten.
    Sein Magen knurrte, diesmal lauter und eindringlicher. Bevor er nicht etwas zu essen bekam, würden seine Gedanken sich nur immer mehr verwirren. Das war sein vordringlichstes Ziel: Nahrung zu beschaffen, und dann einen Platz für die Nacht suchen. Wenn er bis morgen früh noch frei war, würde er sich überlegen, wie es weitergehen sollte. Ob er es wagen durfte, nach Hause zu gehen (wo immer das sich auch befinden mochte, denn er besaß keinerlei Orientierung mehr), oder ob er fürderhin das heimliche und darbende Leben einer einsamen Ratte fristen musste.
    Fionn schlich sich an dem Gasthaus vorbei zum nächsten. Vielleicht gab es dort eine Möglichkeit, Reste von Mahlzeiten aufzutreiben. Schon bei dem Gedanken daran drehte sich ihm der Magen um, aber in seiner Lage durfte er nicht wählerisch sein. Wenn es ihm möglich wäre, sich wie einer von den anderen Kleinen Völkern zu verkleiden, könnte er sogar Erfolg haben. Er könnte seine Dienste zum Tellerwaschen anbieten. Die großen Leute konnten ja oft einen Bogin nicht von den Angehörigen der Kleinen Völker unterscheiden; für die waren sie alle gleich. So klein, dass man einfach über sie hinwegsah und sie gar nicht richtig bemerkte. Niemand wollte sich mit ihnen allzu sehr abgeben, sie blickten alle auf die Kleinen herab. »Halblinge« nannten sie sie durchwegs, als wären sie nichts Ganzes, nichts, das man besonders achten musste.

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