Der Fluch der Halblinge
mehr unterscheiden können, weil jeder wie der andere ist!«
»Genau: Arrogant, herablassend, unverbesserlich.«
Einige Bogins lachten, der Elb warnte sie wütend, vorsichtig mit ihrer Wortwahl zu sein.
»Ach, pluster dich doch nicht so auf«, kam es daraufhin aus einer anderen Ecke.
Das musste man ihnen lassen, den Mund konnte man den Bogins nicht verbieten, so viel Angst sie auch haben mochten. Aber sie waren nun schon so lange hier unten, und da konnte selbst das sanfteste Geschöpf die Geduld verlieren. Einen Bogin zeichnete grundsätzlich aus, niemals aufzugeben, und er besaß einen ganz eigenen Stolz. So leicht war er nicht zu brechen, wie man ja an den Verstörten sah: Sie kamen wieder zu sich – ohne Erinnerung, aber das war vielleicht nicht das Schlechteste.
Cady hörte dem weiteren Wortwechsel nicht mehr zu, sondern beschäftigte sich mit dem Schloss. Sie wollte keinen Moment verlieren, denn sie konnte hier unten die Zeitabstände nur schätzen und leise mitzählen, während sie etwas unternahm. Viel Zeit blieb ihr sicher nicht.
Sie fuhr zusammen, als plötzlich jemand neben ihr auftauchte – Melissa, ihre Freundin, die mit ihr im selben Haushalt lebte. Melissa war ein paar Jahre älter als Cady und würde bald heiraten. Das heißt, falls sie jemals hier wieder herauskamen.
»Was machst du denn da?«, zischelte sie.
»Psst, sie dürfen dich nicht bemerken …«
»Weiß ich. Tun sie auch nicht.«
»Oh.« Anscheinend hatte es jeder gewusst, außer Cady; und ihr hatte es niemand gesagt, weil man davon ausgegangen war, dass sie … Ach, lassen wir das , schob sie den Gedanken verärgert beiseite. Gedankliche Wiederholungen dazu brachten nichts. Sie wusste es jetzt.
»Also, was tust du?«
Sie tuschelten sich gegenseitig so leise ins Ohr, dass ein Mäusehusten lauter gewesen wäre.
»Ich breche aus.«
»Wa … Du haust ab?«
»Erst mal umsehen.«
»Ich komme mit.«
»Melissa, das solltest du nicht tun.«
»Cady, davon kannst du mich nicht abhalten.«
»Bogins tun so etwas nicht, das weißt du.«
»Und seit wann bist du kein Bogin mehr?«
»Melissa. Sei vernünftig. Ich bin wahrscheinlich verrückt geworden.«
»Na gut, dann ich auch.«
Cady verdrehte die Augen. Sie warteten, bis die Wachen endlich verschwunden waren, den Gang hinunter und die Treppe hinauf. Cady zählte in Gedanken mit, lauschte auf jeden Schritt; inzwischen konnte sie sogar – weil es so still hier unten war – die Bewegungen der Elben hören, ein ganz leichtes Schleifen ihrer Stiefel auf dem körnigen Stein.
Kaum waren die Schritte verklungen, da fummelte Cady auch schon am Schloss herum, Melissa unterstützte sie dabei, und tatsächlich bekamen sie es auf. Es war gar nicht so schwer; anscheinend glaubte niemand, dass Bogins das jemals fertig brächten. Andererseits – welche Gefangenen waren denn normalerweise hier unten? Vielleicht in Ketten gelegte Verurteilte? Ja, das musste es sein.
Die Mitgefangenen zeigten keine Regung. Natürlich beobachteten sie die beiden jungen Frauen, doch sie würden nichts dazu sagen, das wäre nicht Bogin-Art. Vermutlich verstanden sie sowieso nicht, was hier vorging, und Cady konnte nur hoffen, dass Onkelchen Fasin hiervon nichts mitbekam. Er wäre wahrscheinlich höchst empört über das Verhalten der beiden jungen Frauen.
Schließlich schlüpften sie hinaus, intensiv, aber wortlos von den anderen beobachtet. Wahrscheinlich versuchten sie immer noch zu begreifen, was hier vor sich ging.
»Wo willst du denn hin?«, flüsterte Melissa. »Nach oben geht es doch rechts entlang!«
»Weiß ich. Aber hier links führt es weiter, und ich will wissen, wohin«, gab Cady zurück. »An den Wachen kommen wir niemals vorbei, ob wir nun Bogins sind oder nicht. Hier unten sind sie abgelenkt und unaufmerksam, aber die Treppe hinauf würden sie uns bemerken, egal wie unsichtbar wir uns machen wollen. Und dann? Wie wollen wir an den Türwachen vorbei kommen? Nein, ich sage dir, es gibt hier noch andere Wege. Ich suche nach einem Pfad nach draußen, den die Wachen nicht kennen.«
»Ist ja schon gut, also lass uns links gehen.«
»Du musst nicht mitkommen.«
»Hörst du wohl endlich auf?« Melissa schubste Cady vorwärts, und sie huschten an den Gittern vorbei auf das dunkle Ende des Gangs zu.
Es ging tatsächlich weiter, so wie Cady vermutet hatte. Die Fackeln hörten am letzten Verlies auf, doch der Gang war damit keineswegs zu Ende.
»Heb mich hoch«, verlangte Cady von ihrer Freundin. »Wir
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