Der Fluch der Hebamme
war zu wichtig, um sie nebenbei im Stehen zu führen.
»Bis zum Hoftag in Merseburg hatten wir noch eine Wahl: Otto oder Albrecht. Und bis zur Entscheidung des Königs hatten wir noch eine Hoffnung: Dietrich von Weißenfels«, begann er. »Doch jetzt sind die Dinge entschieden. Nach Ottos Tod wird unwiderruflich Albrecht Markgraf. Das ist sein Anrecht von Geburt her und nun durch den Beschluss des Königs noch einmal bekräftigt. So sieht es Gottes Ordnung der Welt vor, und wir haben dem zu folgen, ob es uns gefällt oder nicht.«
»Aber Albrecht ist ein schlechter Herrscher!«, widersprach Daniel und biss sich auf die Lippe. Ihm war klar, dass er anderen gegenüber solche Worte nie würde äußern dürfen. Doch sein Stiefvater hatte ihm ein offenes Gespräch zugebilligt.
»Albrecht ist ein schlechter
Mensch
«, berichtigte ihn Lukas.
»Wie kann ein schlechter Mensch ein guter Herrscher sein?«, erwiderte Daniel sofort.
Insgeheim lächelte Lukas über die Schlagfertigkeit des Jungen. Aber eine Sache musste er ihm wirklich eindringlich klarmachen.
»Es gibt auch gute Menschen, die schlechte Herrscher waren«, entgegnete er in der Hoffnung, Daniel würde von ihm kein Beispiel dafür verlangen, denn ihm fiel bei näherer Betrachtung keines ein.
»Natürlich könnten wir die Mark Meißen verlassen, wenn Albrecht auf dem Burgberg einzieht. Deine Mutter hat diesen Vorschlag auch schon gemacht. Aber tu mir den Gefallen und sprich sie nicht darauf an«, bat er.
Daniel nickte sofort, froh darüber, dass sein Stiefvater ihn ernst nahm und dass seine Mutter ähnlich dachte wie er.
»Vielleicht müssen wir es sogar – wenn er uns aus dem Land verbannt«, fuhr Lukas nachdenklich fort. »Aber solange er das nicht tut, halte dir stets eines vor Augen: Wir dienen nicht nur treu dem Hause Wettin, wie es unsere Väter und Vorväter taten. Als Ritter haben dein Vater und ich geschworen – und du wirst es ebenfalls tun, wenn es so weit ist –, die Menschen zu schützen, die sich nicht verteidigen können. Die Bauern, die Stadtbewohner, die Mönche … Sie können nicht alle einfach weggehen, wie wir es vielleicht könnten, wenn jemand die Regentschaft übernimmt, der ihnen nicht gefällt. Wir bleiben hier, um ihnen zu helfen. Um es ihnen irgendwie erträglich zu machen.«
Daniel war anzusehen, dass er gründlich über diese Worte nachdachte.
»Albrecht hat meinen Vater töten lassen«, sagte er schließlich.
»Das ist etwas, das wir nicht beweisen können«, ermahnte ihn Lukas. »Es waren drei Bogenschützen, die auf ihn geschossen hatten, und Raimund und ich haben sie sofort getötet. Nach dem Gesetz ist damit der Tod deines Vaters gerächt. Für himmlische Gerechtigkeit wird der Allmächtige beim Tag des Jüngsten Gerichts sorgen. So lange müssen wir uns gedulden.«
Der Zweifel stand Daniel ins Gesicht geschrieben. Also forderte Lukas ihn auf, zu sagen, was ihm durch den Kopf ging.
»Gott bestimmt, wer herrscht. Und wir haben Seinen Willen zu erfüllen«, sagte der Junge langsam und schien nach Worten zu suchen, um auszudrücken, was er dachte, ohne dass es wie eine Gotteslästerung klang. »Aber kann nicht auch eine Lage eintreten, in der man dem von Gott gewählten Herrscher den Gehorsam verweigern darf und sogar muss?«
»Das Gesetz sagt, man muss einem Herrn nicht folgen, der sein eigenes Wort bricht und seinen Untertanen Unrecht zufügt, statt sie zu schützen«, erklärte Lukas. »Und ein Eid, den ein solcher Herrscher erzwungen hat, ist nicht bindend. Das nennt man Freiheit des Gewissens. Denn für seine eigenen Taten, ganz gleich, wer sie befohlen hat, ist jeder vor Gott am Ende immer noch selbst verantwortlich. Aber ich hoffe, dass wir auf solche Spitzfindigkeiten nicht zurückgreifen müssen.«
Er stand von dem Baumstamm auf, klopfte sich die morsche Rinde von den Händen und griff nach seinem Schwert.
»Zuallererst sollten wir dafür sorgen, dass du ein so furchteinflößender Kämpfer wie dein Vater wirst. Einverstanden?«
Als sollte Ottos Heimkehr nach Meißen von der Sonne vergoldet werden, herrschte am letzten Tag ihrer gemächlichen Rückreise von Merseburg ein für die Jahreszeit herrliches Spätherbstwetter. Es waren kaum noch Blätter an den Bäumen, die Wege waren mit buntem Laub bedeckt, auf dem sich früh am Morgen schon Rauhreif gebildet hatte. Doch im Verlauf des Tages entwickelte die niedrigstehende Sonne noch einmal überraschend viel Kraft.
Hartmut und Hedwig hatten schnelle
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