Der Fluch der Hebamme
Reiter vorausgeschickt, damit in Meißen alles für das Eintreffen des Markgrafen vorbereitet wurde. So konnten sie sich auf den letzten Meilen Zeit lassen und trotzdem sicher sein, dass bei ihrer Ankunft ein Bad und ein gutes Mahl vorbereitet waren.
Otto schien es jedoch eilig zu haben, wieder auf dem Burgberg Einzug zu halten. Er war sich der Bedeutung seiner unangefochtenen
Heimkehr voll und ganz bewusst.
Burgmannschaft und Gesinde würden ihn jubelnd begrüßen, die geraubten Kostbarkeiten waren längst wieder an ihrem Platz in
seiner
Halle – das war eine seiner Bedingungen für die öffentliche Aussöhnung mit seinem treulosen Sohn gewesen. Der steckte nun vermutlich noch im Schlamm vor Braunschweig und belagerte ohne Aussicht auf Erfolg die stark befestigte Stadt, die dem Löwen auch diesmal die Treue hielt.
Es gab wohl niemanden in diesem Zug, der nicht erleichtert aufatmete, als Otto wohlbehalten den Burgberg hinaufgeritten war
und nach dem Willkommenspokal griff, den ihm der kahle Haushofmeister reichte.
Doch dann geschah etwas, das allen Beobachtern den Eindruck vermittelte, die Zeit stünde auf einmal still. Dabei waren es nur Ottos Bewegungen, die einfroren: statt den Pokal entgegenzunehmen, erstarrte seine Hand auf halber Höhe, dann fiel sie herab, er ächzte und sank im Sattel zusammen, vornüber auf den Hals seines Pferdes.
Geistesgegenwärtig versuchte der Stallmeister, der das Reittier des Fürsten hielt, ihn aufzufangen. Auf seinen Schreckensruf rannten mehrere Männer herbei, die dem reglosen Fürsten die Füße aus den Steigbügeln zogen, ihn vorsichtig vom Pferd hievten und ihn in die Halle trugen.
Hedwig, bleich vor Schreck, ließ sich aus dem Sattel helfen und befahl, sofort die Herrin von Christiansdorf zu rufen.
Doch Marthe hatte bereits mitbekommen, dass etwas nicht in Ordnung sein konnte, stieg hastig ab, wobei sich ihr Rocksaum im Steigbügel verfing und riss, und rannte los. Im Vorbeilaufen griff sie noch den Korb mit ihren Kräutern vom Trosskarren und lief die Treppen hinauf.
Die vier Männer, die den alten Fürsten hochgetragen hatten, standen wie gelähmt an der Tür, so dass Marthe sich erst den Weg zwischen ihnen hindurch bahnen musste. In der Kammer hasteten Diener kopflos hin und her, um das Bett zu richten und den Markgrafen, der offenkundig gar nicht sprechen konnte, nach seinen Wünschen zu fragen.
Das Durcheinander und die Aufregung konnten nicht gut für den Schwerkranken sein. Doch da Hedwig wie betäubt an Ottos Bett saß, statt die Unruhestifter hinauszuwerfen, beschloss Marthe, das selbst zu übernehmen.
»Geht alle!«, wies sie an. »Der Fürst braucht Ruhe. Nur die Fürstin und ihre Magd können bleiben.«
Sie wunderte sich selbst am meisten, dass ihr Befehl umgehend befolgt wurde.
Als die Diener hinaus waren, bat sie Hedwigs Magd Susanne, die hölzernen Fensterläden weit zu öffnen. Sie brauchte jetzt Licht und frische Luft.
Dann wandte sie sich dem alten Fürsten zu. Otto war wach, atmete röchelnd und lallte etwas Unverständliches.
Hastig versuchte Marthe, die Schließe der Fibel an seinem Bliaut zu öffnen, und als ihr das nicht schnell genug gelang, griff sie kurzerhand nach dem Essmesser an ihrem Gürtel und zerschnitt den enganliegenden Halsbund. Sie dachte in diesem Augenblick nicht einmal daran, dass sie ein Gewand verdarb, das mehr wert war, als ein Krämer oder Schmied in seinem ganzen Leben verdienen konnte. Sie hatte nur einen Gedanken: Otto darf jetzt nicht sterben!
Die Hände und das Gesicht des alten Fürsten waren eiskalt, sein Blick flackerte hilflos und ängstlich umher.
»Bitte beruhigt Euch, mein Herr«, redete sie sanft auf ihn ein. »Versucht, gleichmäßig zu atmen! Dann wird es Euch gleich wieder bessergehen.«
Hedwig hatte es inzwischen selbst übernommen, ihrem Mann die Stiefel auszuziehen, damit er bequemer liegen konnte.
»Hilf mir, ihn aufzusetzen!«, bat Marthe Susanne. »Und der Küchenmeister soll eine kräftigende Brühe bereiten. Aber kein Fleisch darin und kein Brot!«
Sie tauchte ein Tuch in eine Schüssel mit Wasser und wischte Otto den kalten Schweiß von der Stirn. Danach träufelte sie ihm Wasser auf seine ausgetrockneten Lippen. Bis es ihm besserging, durfte er weder essen noch trinken, sonst könnte er ersticken.
Und dann beschloss sie, etwas zu tun, wofür jeder andere Augenzeuge am Hof als Hedwig oder Susanne sie in den Kerker oder auf den Scheiterhaufen bringen würde.
Sie riss Ottos Gewand
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