Der Fluch der Hebamme
Mädchen durch nichts zu erkennen gegeben, dass sie einen Mann begehrte. Wie lange konnten sie noch warten? Eine Frau zählte nichts ohne einen Mann, der sie beschützte.
Lukas und Reinhard tauschten einen Blick, dann ergriff Lukas als Oberhaupt des Hauses das Wort.
»Wir
müssen
sie verheiraten! Wir hätten es längst tun sollen. Jeden Tag kann eintreten, was wir befürchten. Was, wenn ich dann mit meinen Männern abkommandiert werde und im Kampf oder durch einen Hinterhalt sterbe? Wer wird sie behüten? Ich will nach meinem Tod nicht Christian im Jenseits gegenübertreten und mir vorwerfen lassen müssen, dass ich nicht gut für seine Kinder gesorgt habe.«
Unentschlossen sah Marthe von einem zum anderen.
»Habt Ihr schon mit Clara darüber gesprochen?«, fragte sie Reinhard.
»Nein. Erst wollte ich euer Ja und euren Segen.«
»Empfindet sie etwas für Euch?«
»Sie wird es lernen«, mischte sich Lukas ein. »Ich kann mir keinen besseren Mann für sie vorstellen. Er wird sie schützen und für sie sorgen …«
»… und ich liebe sie von ganzem Herzen«, fügte Reinhard an.
»Es … kommt sehr … plötzlich«, wand sich Marthe um eine Antwort.
Nun widersprach Lukas. »Ich wäre ihr ein schlechter Vater, wenn ich sie nicht bald ordentlich verheiratete. Du weißt so gut wie ich, weshalb wir sie keinem Mann geben können, dem wir nicht vollständig vertrauen.«
Jedem im Raum war klar, was er meinte: Wie Marthe hatte auch Clara manchmal Träume, die sich bewahrheiteten. Wer davon erfuhr und sie der Kirche verriet, würde Clara einen grausamen Tod bescheren.
Aber durfte sie Reinhard vertrauen? In den ersten Jahren nach seiner Schwertleite hatte er in Randolfs Diensten gestanden. Deshalb brachte sie es nicht über sich, Reinhard so zu vertrauen, wie Lukas es tat. Marthe konnte ein Schaudern nicht unterdrücken, als sie darüber nachsann, ob wohl Randolf vor seinen Rittern damit geprahlt hatte, die Frau seines Feindes geschändet zu haben, als sie noch ein blutjunges Mädchen war.
»Es gibt keinen anderen Weg«, entschied Lukas. »Sie ist vernünftig und wird es einsehen.«
»Meine Tochter soll nicht nur aus Vernunft heiraten!«, widersprach Marthe leidenschaftlich.
»Du weißt genau, dass es nur den wenigsten Menschen vergönnt ist, die Liebe ihres Lebens zu treffen und auch noch zu heiraten«, hielt Lukas ihr mit ungewohnter Strenge vor. »Reinhard ist ein guter Mann, zuverlässig und von Ehre. Die Leute zerreißen sich doch so schon die Mäuler darüber, dass sie mit sechzehn immer noch nicht unter der Haube ist!«
Marthe sah die beiden Männer an und fühlte sich überrumpelt. Wie es aussah, war diese Hochzeit für Lukas bereits beschlossene Sache.
»Lasst mich zuerst allein mit ihr reden«, bat sie schließlich, als niemand etwas sagte.
»Gut«, gestand Lukas zu. »Aber nicht mehr heute.«
Besorgt sah er zu Marthe, die müde den Kopf an die Wand gelehnt hatte. Vielleicht sollte er sich heimlich mit Johanna verbünden, ihrer Stieftochter, die von Marthe eine Menge über das Zubereiten von Heiltränken gelernt hatte. Es musste doch irgendein Kräutlein geben, das den Mutlosen neue Hoffnung gab. Er könnte auch Clara fragen, doch das Mädchen würde möglicherweise in nächster Zeit nicht so gut auf ihn zu sprechen sein.
»Also darf ich morgen um sie werben?«, fragte Reinhard.
Nach dem zustimmenden Nicken von Lukas bedankte er sich und ging mit festen Schritten hinaus.
In der Falle
M arthe kam am nächsten Morgen nicht gleich dazu, mit Clara über die geplante Hochzeit zu sprechen. Schon bei Sonnenaufgang rissen besorgte Rufe sie aus dem Schlaf. Lukas saß bereits aufrecht im Bett, den Dolch in der Hand, als sie benommen hochfuhr. Doch dann ließ er sich erleichtert wieder sinken und legte die Waffe beiseite. Es war Peter, der von draußen durch die Tür rief, dass eine Gebärende Hilfe brauche.
Marthe fühlte sich so müde, als hätte sie keinen einzigen Augenblick geschlafen. Sie erfrischte sich rasch mit Wasser aus dem Krug, schlüpfte in ihr Kleid, drehte das Haar zusammen und setzte die Haube auf. Dann griff sie nach dem Korb mit allem, was sie für eine Entbindung brauchte. Lukas war inzwischen vor die Tür gegangen und redete mit dem Großknecht.
Als Marthe hinaustrat, sah sie, dass eine alte Frau in ärmlichem Kleid bei den Männern stand, die nun sofort auf die Knie sank.
»Herrin, bitte habt Erbarmen und helft! Ich weiß sonst weder ein noch aus …«
Marthe kannte die Frau.
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