Der Fluch der Hebamme
Schlachtermesser aus Berthas Leib herausschneiden zu lassen.
Also blieb nur eine Möglichkeit.
Sie warf die schmutzigen und blutigen Leinenknäuel beiseite, die jemand Bertha zwischen die Beine gepresst hatte, schöpfte sich mit einer Kelle Wasser aus dem Bottich am Herd und goss es sich über die Hände.
»Stütz ihr den Rücken«, rief sie der Alten zu, die sofort begriff, was zu tun war. Sie hockte sich hinter ihre Nichte, hob ihren Oberkörper leicht an, griff ihr unter die Arme und drückte ihr ein Knie ins Kreuz.
Marthe sprach ein kurzes Gebet, spreizte der Sterbenden die Schenkel und griff vorsichtig in den Leib, um das Kind zu drehen.
Bertha stöhnte auf, ihre Lider flackerten, dann schrie sie vor Schmerz. Nun kam wieder Bewegung in die Geburt.
Marthe wartete, bis die Wehe verebbte, tastete mit geschlossenen Augen nach einem Arm des Ungeborenen und zog behutsam daran,
bis es aus dem geschundenen Leib glitt. Rasch fing sie das Neugeborene auf und durchtrennte die Nabelschnur.
»Es ist ein Junge! Schnell, kümmere dich um deine Nichte, gib ihr zu trinken und wärme sie!«
Marthe hatte dafür jetzt keine Zeit. Das Kind sah sehr klein und schwach aus, noch winziger als ein normales Neugeborenes, und es gab keinen Laut von sich. Rasch säuberte sie Mund und Nase von Schleim und blies dem Säugling etwas von ihrem Atem ein, bis sich der winzige Brustkorb leicht senkte und hob. Endlich war der erste zittrige Schrei zu hören.
Sie warf einen Blick auf die junge Mutter, die nun erst sie, dann das Kind anstarrte. »Du kommst nicht ins Fegefeuer. Du lebst!«, versicherte sie ihr mit aufmunterndem Lächeln.
»Ich will das Balg nicht!«, sagte Bertha mit letzter Kraft, ließ sich niedersinken und drehte das Gesicht zur Wand.
Ohne etwas darauf zu entgegnen, wickelte Marthe den Jungen in das zerschlissene Leinen. Als Leichentuch würde es nun nicht gebraucht; zumindest nicht gleich.
Mit dem Kind auf dem Arm trat sie vor die Tür. »Deine Schwester lebt, und ihr Kind auch«, sagte sie zu dem verheulten Jungen, der dort immer noch hockte. »Lauf rasch und hol den Pater!«
Ob das Neugeborene überleben würde, wusste sie nicht. Aber es konnte getauft werden.
Augenblicke später war der Pater zur Stelle, musterte sie mit zusammengekniffenen Lippen, nahm ihr das Bündel ab und hastete Richtung Kirche.
Marthe ging wieder in die Kate, um die Nachgeburt zu entbinden. Als auch das überstanden war, wusch sie die Wöchnerin mit Elfriedas Hilfe, kühlte ihr die Stirn und gab ihr zu trinken.
»Ich will mit der Schande nicht weiterleben«, murmelte Bertha mit Tränen in den Augen. »Wenn nur das Höllenfeuer nicht wäre … Der Pater will mir meine Sünden nicht vergeben.«
Marthe griff nach ihrer Hand, fühlte den Pulsschlag und betrachtete die Wöchnerin voller Mitgefühl. Ihre Haut war eiskalt und nahm schon jenen merkwürdigen Ton an, der den nahenden Tod verriet. Sie wäre bei Bertha geblieben, um ihr beizustehen. Aber die größte Hilfe wäre es wohl für die Sterbende, die Letzten Sakramente gewährt zu bekommen, damit ihr das Höllenfeuer erspart blieb.
»Halte noch ein bisschen durch«, flüsterte Marthe und strich ihr über die Wange. »Ich schicke dir Pater Hilbert.«
Dann huschte sie hinaus. Draußen erwartete sie eine der Nachbarinnen, mit verlegener Miene und einem Krüglein in der Hand. »Gute Ziegenmilch, nehmt das als Bezahlung, Herrin«, bat sie.
»Gib das den Kindern«, sagte Marthe. Sie hatte es eilig, von hier fortzukommen. Sie musste Pater Hilbert finden. Und dann musste sie endlich mit Clara reden.
Sie schaffte es gerade noch, Richtung Donatstor abzubiegen, als sie von weitem erneut Sebastians keifende Stimme vernahm. Um ihn würde sich Elfrieda schon kümmern.
Enthüllungen
M arthe rechnete damit, Clara in der Kräuterkammer vorzufinden, als sie aus der Siedlung der Bergleute nach Hause zurückkehrte. Doch stattdessen war dort ihre verheiratete Stieftochter Johanna dabei, getrocknete Blätter im Mörser zu zerstoßen.
»Clara sitzt mit Peter, Christian und den Schmiedesöhnen in der Scheune. Sie planen irgendetwas, wohl im Auftrag des Herrn Lukas«, sagte Johanna leise.
Sie wussten beide, dass nach allgemeinem Ermessen vier junge Männer, deren abenteuerliche Unterfangen in der ganzen Stadt Legende waren, keine geeignete Gesellschaft für die unverheiratete Tochter eines Ritters und einstigen Burgvogtes waren. Doch Clara hatte schon von Kindesbeinen an zu den Mitverschwörern
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