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Der Fluch der Hebamme

Titel: Der Fluch der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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vergangen war, als die Tür abermals geöffnet wurde, diesmal nicht nur einen Spalt. Mit tränenverschmiertem Gesicht blickte sie hoch, gefasst darauf, dass man sie fortzerren würde, zur Folter ihres Mannes.
    Ein Geistlicher stand vor ihr und blickte streng auf sie herab.
    Also würde man sie nicht zu Lukas bringen, sondern erneut vor ein Kirchengericht – und dann auf den Scheiterhaufen. Diese Möglichkeit hatte sie blitzschnell abgewogen und in Kauf genommen, als sie vortrat und den Fluch aussprach. Hauptsache, Lukas blieb am Leben. Vielleicht würde Albrecht ihn nicht mehr martern lassen, wenn sie erst tot war; vielleicht fanden seine Freunde einen Weg, ihn zu befreien.
    Sie hatte Lukas immer gemocht, zunächst mit der Bewunderung eines einfachen Mädchens für einen draufgängerischen Knappen, dann – nach ihrer Hochzeit mit Christian – wie einen Bruder. Ihre große Liebe war stets Christian gewesen.
    Doch in dieser Nacht, in der sie vor Kälte schlotternd im Verlies hockte und nachträglich ihr Tun überdachte, während der Gedanke sie würgte, was er jetzt wohl erleiden mochte, wurde ihr eines zum ersten Mal in aller Deutlichkeit klar: Sie liebte Lukas. Nicht nur, weil er ein guter Mann war und einst Christians bester Freund, weil er ihr Schutz und Wärme gab. Er war nicht Christian. Und doch liebte sie ihn so sehr, dass sie um seinetwillen bereit war, in den Feuertod zu gehen.
     
    Immer noch blickte der Geistliche streng auf sie. Sollte sie sich erheben? Oder sich vor ihm zu Boden werfen? Warum hatte er nicht zwei Wachen mitgebracht, die sie in Ketten legten? Aber die warteten vermutlich draußen. Vielleicht – ja, das war die Erklärung! – sollte er auf sie einwirken, damit sie den Fluch aufhob und als reuige Sünderin starb. Die Aussicht, vielleicht doch noch Erlösung im Jenseits zu finden, war verlockend.
    »Zieht das über und folgt mir ohne ein Wort!«, sagte er und hielt ihr etwas entgegen. Nun breitete er sogar das Bündel aus: ein Umhang und eine Gugel, die tief ins Gesicht gezogen werden konnte.
    Verwundert richtete sich Marthe auf, mit kälteklammen Gliedern, und hüllte sich in Umhang und Gugel. Dann folgte sie dem Geistlichen, von tausend Fragen zerrissen. Niemand stand Wache vor der Tür ihres Verlieses. Und die wenigen Männer, denen sie auf dem Weg zum Burghof begegnete, schienen in ihnen nichts Verdächtigeres zu sehen als irgendeine verhüllte Frau, die einem Geistlichen folgte – vielleicht zur Beichte, um Rat einzuholen, oder zu einem gemeinsamen Gebet.
    Sie überquerten den Burghof und hielten geradewegs auf den Bischofspalas zu. Seit sie vor vielen Jahren in Ketten an diesen Ort gebracht worden war, um sich vor einem Kirchengericht zu verantworten, das sie dann der Probe auf dem kalten Wasser auslieferte, überkam sie jedes Mal ein Schauder, wenn sie an dem Prachtbau vorbeilief. Warteten die Richter schon auf sie?
    Diesmal wurde sie nicht hinab in die Verliese geführt und auch nicht in den großen Saal, in dem sie damals verhört worden war, sondern zu einem schmalen Gang tief in den Palas hinein. Der Mann vor ihr drehte sich um und bedeutete ihr, vorauszulaufen, bis der Gang vor einer schmalen Tür endete. Er öffnete die Tür, ließ sie eintreten und entzündete mit seiner Fackel ein kleines Unschlittlicht. Die Kammer war klein, mit einem kaum mehr als handbreiten Fensterspalt, der nur den Blick auf den nächtlichen Himmel erlaubte, in einer Ecke lag ein Strohsack, in der anderen eine grob gearbeitete Truhe mit einem Krug darauf.
    »Wascht Euch, bedeckt Euer Haar und wartet!«, wies er sie an. Nun erkannte Marthe, dass auf dem Strohsack ein Stück Leinen lag.
    Noch bevor sie etwas sagen oder fragen konnte, war sie wieder allein und die Tür verriegelt.
    Weil sie nichts tun konnte, um das Rätsel zu lösen, hielt sie es für das Beste, den Anweisungen zu folgen. Zu ihrem Glück und ihrer Verwunderung hatte der Mann ihr den Umhang gelassen. Sie zog sich den wärmenden Stoff enger um den Körper, dann trank sie aus dem Krug und schüttete etwas Wasser in die hohle Hand, um sich die Spuren der Nacht und der Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Sie streifte die Gugel ab, flocht ihr Haar neu und überlegte, wie sie den Schleier befestigen konnte. Schließlich nahm sie ein paar Halme Stroh und wand daraus einen dünnen Kranz. Als ihr Haar wieder bedeckt war, wie es sich für eine verheiratete Frau geziemte, blieb ihr nichts weiter, als zu warten, was als Nächstes geschehen

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