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Der Fluch der Hebamme

Titel: Der Fluch der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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wieder ein Stück der Wegstrecke Gerwin mit sich gezerrt, weil er sich weigerte, den Jüngeren zurückzulassen.
    Aber so schmächtig Bruder Notker auch war – er wog ein ganzes Stück mehr als ein abgemagerter, vierzehnjähriger Knappe.
    »Lasst mich hier liegen«, ächzte der junge Mönch, der um Jahre gealtert schien: mit eingefallenen Wangen, verfilzten Haaren, die Augen gerötet und mit fiebrigem Glanz, die Lippen aufgesprungen vor Trockenheit. So sahen sie mehr oder weniger alle aus.
    Thomas schüttelte nur den Kopf. Das lasse ich nicht zu, dachte er trotzig, dass sie deinen klugen Schädel auch noch auf uns schleudern.
    Roland half ihm, den Benediktiner hochzuziehen, der mit einem matten Stöhnen ablehnen wollte. Sie verständigten sich mit einem Blick, nahmen wortlos das letzte Gepäck von Thomas’ Pferd, ließen es auf die Erde fallen und legten den Mönch über den Sattel. Sie würden nichts mehr von diesen Dingen brauchen, wenn sie nicht bald Wasser fanden.
    »Gott ruft mich zu sich«, flüsterte Notker.
    »Das tut er nicht. Er hat noch etwas mit dir vor!«, widersprach Thomas.
    Ein Blick nach vorn sagte ihm, dass sie die Ebene fast erreicht hatten. Von da an würde es besser werden.
    Oder noch schlimmer, wenn sie nicht bald Wasser fanden.
     
    Die Männer des Grafen von Weißenfels marschierten mit der Vorhut unter dem Kommando des Herzogs von Schwaben, weil sie noch vergleichsweise viele Pferde hatten. Sie erreichten die von hohen Bergen umschlossene Ebene am Nachmittag. Rast wurde befohlen. An diesem Tag würden sie nicht weitermarschieren. Bis der Rest des Heeres eintraf und sie sich wieder formieren konnten, würde noch viel Zeit vergehen. Nur nach und nach stiegen oder stolperten immer mehr Männer von den Bergen herab und ließen sich zu Boden sinken.
    Zu Beginn ihres anstrengenden Marsches durch das Steppenland hatten diejenigen, die noch genug Kraft dazu besaßen, Holz gesammelt. In der ersten Woche aßen sie die verendeten Pferde und Ochsen, dann kochten sie Leder oder Brei aus dem zu Pulver zerstoßenen harten Gras. Doch dazu fehlte ihnen seit Tagen schon das Wasser. Stattdessen tranken sie Urin. Jeder Tropfen – ganz gleich, ob von Mann oder Pferd – wurde in Helmen oder gleich mit den Händen aufgefangen und gierig geschlürft.
    Dennoch schleppten sich die Knechte los, um in der Ebene wenigstens etwas Brennbares zu finden. So glühend heiß die Tage waren, so eiskalt waren die Nächte unter dem sternenklaren Himmel.
    Da Thomas als einer von wenigen noch über ein Pferd verfügte, fiel ihm eine bittere Pflicht zu. In Gedanken bat er Radomir um Verzeihung, als er seinen Dolch zog. Um zu überleben, blieb ihm keine Wahl: Wie die anderen Ritter auch, die noch ein Tier hatten retten können, öffnete er seinem Hengst eine Ader am Hals und ließ seine Freunde und den Mönch daraus trinken.
    Den stillen Widerspruch des Benediktiners erstickte er mit einem harten Blick.
    Zwar wusste jeder, dass Mönche angehalten waren, sich von Blut fernzuhalten – sowohl von blutigen Kämpfen als auch bei der Behandlung von Kranken. Doch Thomas bezweifelte, dass derjenige, der diese Regel erdacht hatte, sich je hätte vorstellen können, ein Mönch könne in eine Notlage wie diese geraten.
    Es schmerzte ihn, seinem Hengst eine Wunde zuzufügen und ihm Lebenskraft zu nehmen, ohne ihm etwas zurückgeben zu können, aus dem er neue Kraft gewinnen konnte, weder Gras noch Hafer noch Wasser. Dieses Bild hatte Raimund wohl nicht vor Augen gehabt, als er sagte, ein gutes Pferd könnte ihnen einmal das Leben retten.
    Wie lange hältst du noch durch, Freund?, fragte er sich stumm und strich Radomir über den schweißnassen Hals. Ein Pferd hatte viel Blut. Doch wenn es nicht getränkt werden konnte …
    Sie waren, wie alle wussten, nicht mehr weit von einer Stadt namens Philomelion entfernt. Der Kaiser hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dort freundlich empfangen zu werden, und deshalb vorerst nicht befohlen, sie einzunehmen. Die Gesandten des Sultans hatten immer wieder beteuert, die Überfälle seien Räuberbanden zuzuschreiben, über die ihr Herrscher zu seinem eigenen Bedauern keine Gewalt habe, und Kilidsch Arslan stehe zu seinem Wort, Frieden mit dem durchziehenden Heer zu halten.
    Vielleicht haben wir morgen Wasser, dachte er. Wasser … und Früchte … und Brot … und Hafer für dich, mein Freund …
    Entweder sie bekamen einen Markt, wie es der Sultan dem Kaiser versprochen hatte, oder sie waren

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